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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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bannen. Gesehen hatte man bisher weder das Bild, das wohl gar nicht existierte, noch auch nur Skizzen. Jedenfalls waren beim Sommersitz Maler und Handwerker versammelt, die auf Stoff, der den späteren Segeln entsprach, Farben, Pinsel und Dimensionen des Bildes testeten.
    Wenig später stand ein Topf mit Farbe auf dem Tisch. Er enthielt die Farbe, die Tod und Verletzungen über die Menschen zu bringen drohte. Die Farbe war eine Leihgabe des Reeders Schnabel, dem sie von einem besorgten Bürger zur Verfügung gestellt worden war.
    Der Fürst ließ sofort nach seiner Tochter schicken. Während Goldinger sich insgeheim fragte, wie lange es dauern würde, zum Sommersitz und zurückzufahren, stand die junge Frau schon vor ihm. Die Verachtung in ihrem Blick raubte dem Bürgermeister den Atem. Immerhin fand er zu einer angemessenen Begrüßung, bei Frauen fiel ihm das leichter.
    Endlich bat man den Fürsten und sein Kind in einen Raum, in dem in Ruhe getagt werden konnte. Dass sich hier sonst der Rat versammelte, ließ man mehrfach fallen. Doch machte das auf den Fürsten keinen Eindruck. Der Reeder Schnabel war auch zugegen. In seiner einleitenden Rede ließ er viermal einfließen, wie langdauernd und gedeihlich die Kontakte zum Fürsten seien. Offenbar besorgte Schnabel alle Geschäfte des Fürsten, bei denen Waren den Weg übers Meer nahmen.
    »Ich bitte um Verständnis, dass ich den Namen nicht nennen kann, dem wir die Farbe verdanken«, fuhr Schnabel fort.
    Der Fürst wollte aufbegehren, aber Schnabel zog sich geschmeidig auf das Ehrenwort zurück, das er gegeben habe. Danach berichtete er, dass ein Mitglied aus dem bunten Haufen, der der Prinzessin zuarbeitete, seit einiger Zeit unter tränenden Augen und Husten leiden würde. Als er einmal versehentlich einen Tropfen der Farbe auf die Hand bekommen habe und ihn, ohne zu überlegen, ableckte, habe er die Arbeit abbrechen müssen. Zu Hause habe er zwei Tage unter heftigen Bauchschmerzen gelitten. Zurück in der Werkstatt, sei alles von vorn losgegangen.
    Die Prinzessin, die sich mühsam zurückgehalten hatte, fuhr auf: »Nennt endlich Namen, ich will das überprüfen. So kann ja jeder alles Mögliche behaupten.«
    Schnabel bedauerte erneut und fuhr fort: »Die Farbe ist vielleicht gar nicht das größte Problem.«
    »Sie ist in Ordnung«, protestierte die Prinzessin. »Ich lasse sie aus Holland kommen, wo die besten Farben hergestellt werden. Ich habe noch nie von einem Maler gehört, der mit den Farben nicht zufrieden war.«
    »Tote Maler jammern nicht«, entgegnete Schnabel maliziös. Er wusste, wie unsachlich er war. Aber er hätte es sich nie verziehen, wenn er sich diese Bemerkung verkniffen hätte. Er hatte die Lage im Griff, alle agierten so, wie er es wollte und voraussah. Das waren die Momente, für die der Reeder Schnabel lebte.
    Nun mischte sich der Fürst ein. »Was meint Ihr, wenn Ihr sagt, die Farbe sei nicht das Problem?«
    »Damit meine ich, dass es der Eifer der Prinzessin ist, der uns zu dieser unangenehmen Zusammenkunft brachte.«
    Innerlich jubilierend sah Schnabel, wie der Fürst nachdenklich seine Tochter anblickte. Er hatte also einen wunden Punkt getroffen. Das war die hohe Schule des Intrigierens: Finde die Schwäche des Gegners! Erinnere ihn an seine Bedenken und verstärke sie durch bloßes Erwähnen. Greife nicht ungestüm an, halte einfach den Ball im Spiel, damit sich der Gegner daran abarbeitet.
    Behutsam, ohne polemische Untertöne, mit väterlicher Besorgtheit fuhr Schnabel fort. Er malte das Bild einer kunstbesessenen jungen Frau, die sich dazu hinreißen lässt, an einem umstrittenen Projekt teilzunehmen. Ohne die großen Zusammenhänge zu kennen, lebt sie nur für ihre Kunst und hat keinen Blick für das, was rechts und links neben ihr vorgeht. Vielleicht ist die Farbe ja wirklich ungesund. Was tut das, wenn man es rechtzeitig erkennt und seine Lehren daraus zieht? Vielleicht gibt es gar keine Farben, die auf Segeltuch bei Wind und Wetter, Regen und Stürmen halten, ohne in wenigen Wochen unansehnlich zu werden? Vielleicht ist bei diesem Projekt alles ein wenig zu schnell gegangen? Vielleicht wäre Nachdenklichkeit der bessere Ratgeber gewesen? Vielleicht sollte dieser bedauerliche Vorfall den Anlass bieten, mit der Malerei aufzuhören, um in Ruhe die richtige Farbe zu suchen, damit man am Ende nicht mitverantwortlich für ein großes Unglück wird? Vielleicht ist das Einzige, das fehlt, nichts anderes als Zeit?
    Die letzten Worte

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