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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Monaten eine tote Stadt gewesen wäre. So viel war passiert: Im Hause Delf lebte nur noch einsam der junge Vater, seitdem Mutter und Kind zu ihren Eltern gezogen waren, weil einiges über den Vater herausgekommen war, das besser unter der Decke geblieben wäre. Im Hafen hatte ein Arbeiter bei einem Streit nach reichlich Alkoholgenuss eine Hand verloren, hatte die Hand aufgesammelt und war mit ihr durch die halbe Stadt gelaufen, bevor er durch Schock und Blutverlust zusammengebrochen war. Vor dem Waisenhaus waren zwei Kinder unter ein Fuhrwerk geraten. Der Müller hatte nicht einmal angehalten und später behauptet, nichts bemerkt zu haben. Dabei hatte er noch ein drittes Kind überfahren, das sich ihm in den Weg gestellt hatte, um ihn zu stoppen. Der Bischof hatte Banditen, die eine Kapelle im Osten leergeräumt hatten, ihr Diebesgut abgekauft und musste sich nun gegen den Vorwurf verteidigen, mit ihnen unter einer Decke zu stecken. Ein Weinhändler hatte es geschafft, innerhalb von zwei Jahren drei Geschäfte in den Ruin zu treiben. Nun hatte er den Vater eines Mädchens wegen Körperverletzung verklagt, weil der auf den Heiratsantrag des Pleitiers rabiat reagiert hatte. Ein Rattenjäger war zweimal vom Dach eines Hauses gesprungen, weil er eine himmlische Vision empfangen hatte, die ihm die Kunst des Fliegens verhieß. Wenn sein Beinbruch ausgeheilt sein würde, wollte er einen Kirchturm in Angriff nehmen. Zwei junge Adlige hatten sich auf den Wiesen im Osten um die Tochter des größten Lübecker Bäckers duelliert. Sie hatten sich gegenseitig jeweils eine Hand verstümmelt und waren weiter aufeinander losgegangen, in jeder gesunden Hand einen Degen. Die Bäckerstochter hatte beide am Krankenlager besucht. Als man ihnen das hinterbrachte, hatten sie sich nachts im Flur des Krankenhauses so lange geprügelt, bis sie in den Arrest geworfen wurden. Der Bäcker hatte seiner Tochter eine Woche gegeben, um sich einen Ehemann auszusuchen, egal wen. Sie hatte sich für einen Künstler entschieden und war daraufhin enterbt worden. Nun dichtete man ihr eine Affäre mit dem zweitgrößten Lübecker Bäcker an, der seit einem viertel Jahr verwitwet war. Auch sein fast erwachsener Sohn hatte sich wohl Hoffnungen auf die Schöne gemacht. Zurzeit ließen Vater und Sohn von einem Advokaten prüfen, ob sie als Blutsverwandte im Duell gegeneinander antreten konnten.
    Das waren lokale Petitessen , wegen der sich die Lübecker vor einem halben Jahr das Maul zerrissen hätten. Jetzt krähte kein Hahn nach dem Schicksal der Bäckerstochter . Dass es zwei Hebammen gewesen waren, die der Prinzessin im Rathaus das Leben gerettet hatten, wurde auch nur nebenbei bemerkt.
    Lübeck kannte nur noch ein Thema. Und weil der Bau des großen Schiffs viele Monate dauern würde, deutete alles darauf hin, dass man mit Anna Rosländers Rachefeldzug gut über den Winter kommen würde.
    Im Verhältnis zu der Witwe hatte sich etwas geändert. War sie in den ersten Wochen allgemein gemieden worden, hatten die Lübecker bald erkannt, dass sie sich damit ins eigene Fleisch schneiden würden. Mit Anna Rosländer nicht zu sprechen, bedeutete, auf die wichtigste Auskunftsperson zu verzichten. Diesen Luxus wollte man sich nicht länger leisten. So waren es die direkten Nachbarn, die begannen, die Witwe wieder zu grüßen. Es kam der Tag, an dem vier Männer ihre Hüte für Anna lüfteten. Bald schwenkte die Nachbarstraße um, bald standen Diener vor der Haustür und brachten Körbe, Waren, Flaschen, Kostproben – mit herzlichen Grüßen vom Absender. Konfekt für Anna Rosländer wurde in der Ratsapotheke zu einem wichtigen Posten. Der Bote verliebte sich in die Magd Rosalia und stürzte vor Schreck zwei Stufen rückwärts aufs Pflaster, als sie ihn zum ersten Mal anlächelte, nachdem er zuvor tagelang nur in den Genuss eines muffigen Gesichts gekommen war – was ihn indes auch schon sehr entzückt hatte.
    Bald fand der Erste den Mut, Anna zum Bau des Schiffs zu befragen. Er war auf eine harsche Abfuhr gefasst, aber einer musste den Anfang machen, und Annas Antwort fiel zwar kurz, aber keineswegs unversöhnlich aus. Die Nachricht fegte schneller durch die Gassen als der kalte Ostwind, den die Mecklenburger in diesen Tagen nach Lübeck schickten. Innerhalb weniger Tage war Anna Rosländer mit Lübeck wieder im Gespräch. Natürlich roch sie den Braten, aber sie war auch erleichtert, nicht mehr in jedem Gesicht auf der Straße einen Gegner wittern zu

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