Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
zog einen imaginären Hut vom Kopf.
Aufmerksam schritt der Besucher durch den Verkaufsraum, nichts entging seiner Aufmerksamkeit.
»Das hat was«, sagte er anerkennend.
»Tut nicht so, als würde Euch das beeindrucken«, entgegnete der Ratsapotheker. »Ihr seid gar nicht scharf darauf, auch so etwas zu haben.”
»Manchmal träumt man. Manchmal fließen die Gedanken, ohne dass man es verhindern könnte.«
Der Apotheker lachte. »Ihr hattet Eure Zeit als Apotheker. Weshalb seid Ihr nicht dabei geblieben?«
»Weil ich mich zu Tode gelangweilt habe.«
»Das lag am Ort. Ihr hättet woanders neu anfangen können.«
»Ich glaube, das hatte ich vor. Aber es ist lange her. Die Erinnerung lässt nach. Ihr habt nicht zufällig ein Mittel gegen Vergesslichkeit?«
Pfeiffer ging mit dem Besucher nach hinten. Hier wurden die Arzneien gemischt, angerührt und abgefüllt. Joseph Deichmann sah alles an und würde nichts vergessen. Er schritt die Regale ab, studierte die Aufschriften. Er nahm sich viel Zeit.
»Sagt es schon, bevor es Euch zerreißt«, forderte ihn Pfeiffer auf.
»Meine Lippen sind versiegelt. Der Schlag soll mich treffen, wenn ich einen Verdacht gegen einen der angesehensten Bürger der Stadt äußern würde.«
»Dann lasst uns über Wilhelmine reden.«
»Ein neues Medikament? Eins, das die Lebensgeister weckt?«
»Ihr seid unverschämt und wisst es.«
»Bietet mir etwas zu trinken an. Dann mäßige ich mich erfahrungsgemäß schnell.«
Aus dem Regal zog der Apotheker eine braune Flasche. Sie war unbeschriftet wie alle Flaschen, die rechts und links von ihr gestanden hatten. Er roch kurz und goss in Zinnbecher ein, auch für sich.
»Auf die Frauen«, sagte Joseph Deichmann.
»Auf die Ehre der Frauen«, sagte Pfeiffer.
Sie tranken, Deichmann schüttelte sich und sagte: »Ich will verdammt sein, wenn das nicht eine teuflisch gelungene Mixtur ist.«
Sie nahmen Platz am einzigen Tisch in dem Raum. Es roch nach frischen Kräutern. Beide schwiegen, maßen schweigend ihre Kräfte.
Joseph sagte: »Ich liebe solche Tage, an denen man von morgens bis abends Zeit hat. Nichts läuft einem weg, man verpasst nichts. Herrlich.«
Pfeiffer sagte: »Gastwirt Deichmann, Ihr schleicht Euch in meine Familie ein.«
»… von morgens bis abends.«
»Hört auf zu spaßen! Es ist mir ernst. Ihr macht Euch an mein Kind heran.«
»An Wilhelmine? Oder an eins der anderen?«
»Ihr seid ein verheirateter Mann. Eure Frau ist in der Stadt bekannt und sogar angesehen. Das ist der Grund, warum ich das Gespräch mit Euch suche, bevor ich die Affäre öffentlich mache.«
»Sprechen wir von derselben Affäre?«
»Von welcher Affäre sprecht Ihr denn, Deichmann?«
»Ich spreche von dem Apotheker, der das führende Haus der Stadt betreibt und mit einem Auge die Lage peilt, wie er seine Geschäfte auf eine breitere Grundlage stellen kann.«
Trotz des schummrigen Lichts war unverkennbar, dass Pfeiffers Gesicht einen Ton blasser wurde. Er sah es Deichmanns Gesicht an, dass dem das nicht verborgen blieb. Und er ärgerte sich, denn er wusste um seine verräterische Schwäche.
»Deichmann, worauf wollt Ihr hinaus?«
»Ich? Ich bin Euer Gast, ich weiß mich zu benehmen.«
»Ihr spielt auf etwas an.«
»Ach ja? War es bis eben nicht gerade umgekehrt? Dass Ihr mir etwas unterstellt?«
Pfeiffer stand auf, ging hin und her, fasste da etwas an, stellte da etwas um. Anders wusste er seine nervöse Unrast nicht zu mäßigen.
Joseph Deichmann blieb seelenruhig sitzen. Der Bursche war der bessere Schauspieler, das erkannte Pfeiffer jetzt. Man hatte ihn gewarnt, er solle sich die Sache nicht zu leicht vorstellen. An Deichmann hätten sich schon andere die Zähne ausgebissen. Aber er hatte sich auf der sicheren Seite geglaubt. Denn Wilhelmine war ein halbes Kind, der Deichmann war verheiratet. Und Pfeiffer war ihnen auf die Schliche gekommen. Was konnte da schiefgehen !? Aber es ging nicht voran!
Pfeiffer schlug auf den Tisch.
»Wackelt nicht«, sagte Deichmann anerkennend. »Guter Tisch.«
»Ich habe Euch gesehen. Man hat Euch gesehen.«
»Ihr oder man?«
»Beide. Erst ein anderer, dann ich.«
»Und was habt Ihr gesehen?«
»Euch und meine Tochter! Das unschuldige Kind! Dass Ihr Euch nicht schämt! Das muss sofort ein Ende haben. Ohne Strafe werdet Ihr nicht davonkommen.«
»Pfeiffer, was habt Ihr vor? Einer wie Ihr ist bekannt dafür, dass er sofort zum Gericht rennt. Ihr habt zwei Eurer Nachbarn belangt, wegen Kleinigkeiten.
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