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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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veranstaltete. Und weswegen? Wegen einer Unstimmigkeit mit seiner Gemahlin. Zwar zog sich die Kalamität ziemlich in die Länge und nichts deutete auf Entspannung zwischen den feindlichen Heeren hin, aber ein Lächeln hätte Vierhaus gut zu Gesicht gestanden und den Verkehr mit ihm erleichtert. Ständig musste man damit rechnen, dass er begann, sich zu bemitleiden, und dann gab der Quälgeist keine Ruhe, bis auch die anderen begannen, ihn zu bemitleiden.
    »Die Schwüle bringt mich um«, lauteten die Begrüßungsworte des Strohwitwers. »Vor einem Jahr hat mir dieses Wetter nichts ausgemacht«, fuhr Vierhaus fort. Schnabel ergriff den wuchtigen Drachenkopf, bevor das Wehklagen schon vor der Tür beginnen konnte.
    Senftenberg, der Gastgeber, öffnete persönlich. Er war nun schon ein Jahr nicht mehr einfacher Lehrer, doch er wollte sich einfach nicht daran gewöhnen, Dienstpersonal zu beschäftigen.
    »Wozu?«, rief er auf eine diesbezügliche Bemerkung des Reeders. »Kosten Geld, lassen Wertsachen mitgehen, ständig hast du das Gefühl, dass dich jemand beobachtet.«
    »Vielleicht täte Euch das Gefühl gut, nicht allein zu sein.«
    »Wie kann ein Mann, der Bücher liebt, allein sein?«, rief Senftenberg pathetisch.
    Schnabel ging ungefragt in den Salon weiter. Er wusste nicht, woran das lag, aber in letzter Zeit war er schnell gereizt, wenn Freunde und Bekannte ihre Reden hielten. Jeder besaß ein Lieblingsthema, auf dem er bei jeder Gelegenheit herumritt. Früher hatte Schnabel das nicht gestört. Er dachte: Du wirst alt. Vielleicht gibt es ein Mittel dagegen.
    »Apropos Mittel«, sagte er unvermittelt, »dürfen wir denn mit Pfeiffer, unserem allseits verehrten Hexenmeister, rechnen?«
    Sie rechneten damit, dass er kam, doch er verspätete sich. Als sie erkannten, dass der Ratsapotheker wohl nicht mehr erscheinen würde, befanden sie sich bereits in der angeregten Debatte. Vierhaus hatte seine guten Verbindungen in die östlich gelegenen Städte spielen lassen. Schnabel, familiär mit den Hamburgern verbunden, berichtete von der Stimmung an Elbe, Alster und Bille.
    Das Ergebnis war so verheerend, wie es alle befürchtet hatten: Die Welt blickte auf Lübeck. Der geplante Bau des größten Schiffs traf überall auf Interesse: bei Menschen vom Fach – Werftbetreibern, Reedern, Kaufleuten, Seeleuten –, aber auch bei einfachen Bürgern. Das vorherrschende Gefühl war das der Schadenfreude. Es gab also eine reiche Witwe, die es den Männern zeigte. Während die Herren der Schöpfung mit Getreidekörnern, Bindfaden und Heringen handelten, drehte sie ein großes Rad. Sie tat etwas, was sich bisher niemand zugetraut hatte. Sie zeigte den Männern, was möglich war. Sie erinnerte die Lübecker an ihre goldene Vergangenheit, denn die blickten ja nicht über den Tellerrand ihrer alltäglichen Geschäfte hinaus. 100 Meter sollte das Schiff lang sein und 100 Meter hoch würden die Masten in den Himmel reichen.
    »Aber das ist ja der nackte Wahnsinn«, rief jammernd der Kaufmann Vierhaus. »Das stimmt ja alles hinten und vorne nicht!«
    »Sag bloß«, fauchte Schnabel und warf eine Rosine nach der anderen in den Schlund. Er musste essen, wenn er nervös war, am besten ein Essen, das aus vielen kleinen Teilen bestand. Nüsse und getrocknete Trauben waren gut geeignet. Schnabel hatte ein Problem mit den Zähnen, deshalb musste er sich harte Nüsse schweren Herzens versagen.
    Senftenberg hatte die Berichte in der Ecke verfolgt, in der sich das Stehpult befand. Als er das Wort ergriff, umfasste er mit beiden Händen das Holz des Pults und strahlte den feurigen Eifer aus, den seine Schüler gefürchtet hatten und seine Kollegen in der Gelehrtenschule übertrieben fanden.
    »Witwen!«, donnerte er. »So sind sie, so waren sie immer, so werden sie für alle Zeiten bleiben.«
    Mit beiden Händen dämpfte Schnabel die eifernde Art des Gastgebers. »Uns wird etwas einfallen«, behauptete er. »Nun dürfte allen klar sein, dass es schnell geschehen muss. Was diese Frau mit ihrem dicken Hintern umreißt, werden wir sonst in vielen Jahren nicht mehr aufgerichtet bekommen.«
    Er blickte in die Runde und dachte: Pfeiffer, wo steckst du? Jetzt könnte ich dich gut gebrauchen.

21
    Oswald Pfeiffer blickte durch den schmalen Türspalt, als würde er den Leibhaftigen erwarten. Dann trat er zurück, die Tür öffnete sich und mit unfrohem Lächeln sagte er: »Die Konkurrenz gibt sich die Ehre.«
    »Herr Apotheker«, sagte Joseph Deichmann und

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