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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Runde aus gelehrten Männern bestand, die beim erstbesten Härtefall in ihrer geistigen Entwicklung um ein halbes Jahrtausend lotrecht in die Vergangenheit zurückstürzten.
    Dabei gab es heute einigen Grund, um sich nicht gehen zu lassen. Denn Goldinger gab der Runde die Ehre. Bürgermeister Edgar Goldinger , Gatte von Kreszentia, geboren in Passau kurz vor dem Mittelmeer, tagelang auf der Flucht vor Anna Rosländer, vor deren Zorn er nach Kopenhagen ausgewichen war. Dort wäre er geblieben, hätte ihn nicht eine Depesche erreicht, in der ihm Männer seines Vertrauens vors Auge gestellt hatten, welchen Eindruck es machen würde, wenn ausgerechnet der Bürgermeister bei schwerem Seegang den Schwanz einkneifen würde. Goldingers Standardausflucht: »Ich bin auch nur ein Mensch« verfing vielleicht bei rabiaten Witwen, bei der Pest war Widerspruch nicht möglich. Die Pest war das Äußerste an Ungemach. Wer der Pest nicht gewachsen war, war dem Amt nicht gewachsen. Und so gern Goldinger vor schweren Aufgaben gelenkig auswich, an das Amt hatte er sich gewöhnt und wollte es behalten. Die Familie seiner Frau, alteingesessene Seefahrer, hatte schon Signale ausgesandt, wie sie mit einem zu verfahren gedächte, der Feigheit vor dem Feind zeigte.
    »Ich bin die Nacht durchgefahren«, behauptete Goldinger kernig. »Ich weiß doch, wo in schwerer Stunde mein Platz ist.«
    Das wussten alle, sie wussten auch, was Überzeugung war und was Pathos. Aber sie saßen nicht zusammen, um Goldinger zu quälen, was sie sonst gern taten, denn keiner litt so schön wie er. Außerdem war er kein Lübecker, sondern ein Zugezogener, und es lag in der Macht der Alteingesessenen, wie lange sie ihn als Lübeck-Lehrling kurz halten würden, obwohl alles in Goldinger danach verlangte, zum inneren Zirkel zu gehören. Naiv, wie er war, hatte er geglaubt, das Amt allein würde ausreichen, um ihn zu adeln. Aber das Amt war bloße Dekoration, für das Funktionieren der Stadt war es ohne Belang. Ein Bürgermeister musste sein, weil es Tradition war und alle Städte einen Bürgermeister besaßen. Lübeck war nicht die Kommune, die zum Vorpreschen neigte und etwas als Erstes einführte, wenn es auch ohne die Einführung gehen würde.
    »Na, das ist eine schöne Scheiße!«, tönte Goldinger . Er wollte einfach nicht von seiner Angewohnheit lassen, dick aufzutragen und sich wie ein Mann unter Männern aufzuführen. Dabei war dies keine lupenreine Männerrunde, wenngleich niemand Apollonia Wendt ohne Not als Frau bezeichnet hätte. Mannweib traf die Sachlage präziser. Die frühere Frau eines Schulleiters und jetzige Gattin des Weinhändlers Wullenhaupt-Ratzeburg hatte den Widerstand gegen Anna Rosländer organisiert und wollte nicht länger in den Kulissen agieren, weil das ihrem Naturell widersprach.
    »Das ist die Pest«, sagte Distelkamp nüchtern. »Die Pest kommt und geht. Jetzt ist sie gekommen, zu keinem günstigen Zeitpunkt. Was wäre der richtige Zeitpunkt? Was würde uns passen?«
    Nachdem dergestalt die Natur der Krankheit auf den Punkt gebracht worden war, konnte man zum konstruktiven Teil der Debatte überwechseln. Es bedurfte eines weiteren Einwurfs des Theologen, um zwei Punkte säuberlich zu scheiden. »Die Pest und Anna Rosländer« sowie »Die Pest und der Hafen«.
    »Das eine ist ein Segen, das andere ist die Pest«, sagte Schnabel und nahm bescheiden Glückwünsche für seine schlagfertige Art entgegen. Er selbst hielt sich in aller Bescheidenheit für nicht unoriginell. Aber ihm glückten einfach zu selten Beiträge, die Beifall hervorriefen.
    »Das mit Annas Schiff hat sich wohl erledigt«, behauptete Voigt. »Eigentlich schade, ich war gerade dabei, das Spiel zu genießen.«
    »Vergesst das Schiff«, rief Schnabel, »das Schiff war eine Kabbelei. So was kommt immer wieder vor, ein Mückenstich der Zeitgeschichte   …«
    Er gierte nach Resonanz, die diesmal überschaubar blieb. »Aber es ist im Hafen passiert«, fuhr er nüchtern fort. »Der Hafen verträgt keine Pest.«
    Distelkamp war kurz davor, einen Ort zu erfragen, an dem die Pest einen guten Eindruck machen würde. Er selbst kannte die Antwort: Stockholm. Aber das war in der Kürze der Zeit ja nun nicht machbar. Alles spitzte sich auf die Frage zu: Was sollte mit dem kranken Schweden geschehen?
    Das Prekäre der Lage erschloss sich allen augenblicklich. Einerseits war der Schwede das Faustpfand gegen Anna Rosländer, denn er blockierte die Werft und damit die Bauarbeiten.

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