Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Schnabel wahr geworden. Die Nachricht von dem kranken Schweden hatte ihn genauso überrascht wie alle anderen. Nur dass es sich um einen Schweden handelte, stellte keine Überraschung dar. Von den Schweden kam alles Übel der Welt. Sie trugen ihre Kriege in den Süden, weil sie in ihrer Heimat keine Gegner fanden, die sie töten, schänden und quälen konnten. Schnabel kannte ein Dutzend Menschen, denen von Schweden übel mitgespielt worden war. Dass ein Volk so böse sein konnte!
»Die Kinder müssen weg«, knurrte Schnabel.
»Dass du in diesem Moment zuerst an sie denkst«, entgegnete seine Frau. Sie hatte diese belegte Stimme, die signalisierte: Ich bin gerührt und du kriegst meine Zuneigung ab.
Schnabel verzichtete darauf, das Missverständnis richtigzustellen . Solange die Plagen nur verschwanden, war ihm jedes Missverständnis recht. In seiner Umgebung begann man bereits, Angehörige fortzuschaffen. Für Bürger vom Schlage Schnabels war das nicht schwer. Viele von ihnen besaßen Sommerhäuser, nicht wenige befanden sich zurzeit sowieso dort. Sie würden ihren Aufenthalt verlängern, die anderen würden aufs Land fahren, dort würde man zusammenrücken und niemand würde klagen.
Die Pest war in der Stadt!
Das war, als würden die Schweden vor dem Holstentor auftauchen und die Herausgabe des städtischen Silbers verlangen. Mit dem Unterschied, dass man den Schweden das hässliche blonde Gesicht vom Hals schlagen konnte und der Pest nicht.
Jedes Mal, wenn die Pest ihr Haupt erhob, fiel Schnabel die gesellige Runde vor zehn Jahren ein. Man hatte im Hof von Ebel gesessen, dem Stadtarzt. Süffige Bowle vom Holunder war in Strömen geflossen, im Garten war der Ganter auf ein Nachbarkind losgegangen und hatte es blutig gehackt. Ebel hatte das Blut gestoppt, der Bruder des Opfers hatte dem Ganter den Hals gebrochen und auf Herausgabe des Tierkörpers geklagt. Ein neuer Topf Bowle hatte die Gemüter beruhigt und dem Gantermörder den ersten Schwips seines Lebens beschert. Er hatte sich mehrfach in die Beete erbrochen.
In dieser entspannten Atmosphäre war Ebel auf sein Lieblingsthema zu sprechen gekommen. War es nicht der Tag gewesen, an dem er seine neue Hebamme präsentiert hatte? Trine Deichmann, jung, beherrscht, schweigsam, aber ehrgeizig und beseelt vom Wunsch, keinen Fehler zu begehen? Das war ihr gelungen. In der Anfangszeit hatte man geglaubt, sie werde es nicht lange machen, aber sie hatte alle überrascht, ihre Hebammen-Schar hatte sie in einer Weise unter der Fuchtel gehabt, dass sich viele Handwerksmeister daran ein Vorbild nehmen konnten. Bei denen sprangen die frechen Gesellen über Tische und Bänke, bei Trine Deichmann herrschte Zucht und Ordnung. Erstaunlich, wie gehorsam das Hexenvolk sich aufführen konnte, wenn es eine gab, die die Regeln bestimmte. Wahrscheinlich flogen sie auf ihren nächtlichen Ausflügen in Formation wie die Gänse und Reiher auf ihren Wanderungen.
An diesem Nachmittag mit dem toten Ganter und der neuen Hebamme und den Schüsseln voll prickelnder Bowle hatte Ebel gesagt: »Was für ein schöner Tag. Alles blüht auf, alles lehnt sich gemütlich zurück. Morgen kann die Pest kommen oder das Fleckfieber oder die Syphilis. Dann können wir uns immer noch überlegen, was zu tun ist.«
Wer Bescheid wusste, hatte den Kopf eingezogen. Stadtarzt Ebel ritt sein Steckenpferd! Vorbeugung wollte er betreiben, gegen alle Krankheiten, am meisten und schnellsten aber gegen die gefährlichen, die aus dem Nichts kamen und die Menschen zu Tausenden dahinrafften. Jede Krankheit besaß einen Charakter, den musste man kennenlernen , dann wüsste man, wie die Krankheit zusammengesetzt war, und konnte verhindern, dass sie Lübeck besuchte. Was war dafür nötig? Geld, gute Arbeiter, Austausch mit den besten Medici aller Weltkreise, Suche nach neuen Medikamenten und Zusammenarbeit mit den Kräuterweibern und Hexen, denn die wussten Dinge, die ein Barbier nicht wusste und ein Medicus auch mit 20 Jahren Studium an einer Universität nicht in Erfahrung bringen würde. Aber eine Universität sollte endlich nach Lübeck, nicht der Philosophie und Literatur, sondern einzig dem Baltischen Meer sollte sie dienen und allem, was mit ihm und seinen Menschen zusammenhing.
Der Stadtarzt Ebel träumte von einer Universität des Meeres und wollte sich um alles kümmern, was im Meer und an seinen Küsten stattfand. Die großen Krankheiten trieben ihn um, am meisten ärgerte ihn das Verhalten der Menschen.
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