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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Vermittler«, stellte er klar. »Ich kann nicht Partei sein   …«
    »Nicht einmal für die Vernunft?«
    Er starrte Distelkamp an. Die meisten, die der Theologe aufs Korn nahm, reagierten eingeschüchtert, denn seiner spitzfindigen Art waren sie nicht gewachsen. Ständig zitierte er Philosophen, die niemand kannte. Daher konnte auch niemand überprüfen, ob Distelkamp sich seine Zitate nicht aus den Fingern gesogen hatte.
    »Lübeck steht an erster Stelle«, sagte Goldinger , »darin sind wir uns wohl einig.«
    »Sind wir nicht«, schoss Distelkamp quer. »Lübeck steht nicht über der Vernunft. Stand es nie und steht es in diesen unvernünftigen Zeiten gewiss nicht.«
    »Wollt Ihr sagen, Ihr haltet mich für unvernünftig?«, fragte Goldinger .
    Distelkamps Interesse ließ nach. Dieser Mann war kein Gegner für ihn. Er nahm alles persönlich. Natürlich hielt Distelkamp den Kerl für unvernünftig. Aber darum ging es nicht. Wäre es ihm darum gegangen, hätte er Lübeck schon lange verlassen. Ein weiteres Mal bedauerte es Distelkamp, dass der Bestand an Größen, die geistig mit ihm auf einer Ebene standen, so überschaubar war. Kaufleute und Kaufmannsgeist konnten hier vorzüglich gedeihen. Aber alles, was klüger war als ein Hering, begann sich nach einiger Zeit doch zu langweilen. Deshalb suchte er immer wieder die Gesellschaft von Trine Deichmann. Sie war im klassischen Sinn ungebildet, aber sie besaß eine Vernünftigkeit, an der sich Distelkamp so hingebungsvoll rieb wie das wilde Schwein am Baumstamm. In Debatten vertrat Trine Deichmann ihre Position mit einer Hingabe, die manchen in die Flucht gejagt hatte. Sie gab einfach nicht nach und legte immer noch ein Argument nach. Kein kluges Gerede aus der Antike mit Verweisen bis Rom und Athen. Ihre Beispiele stammten alle aus ihrer Arbeit als Hebamme. Die Frau war dabei, eine Philosophin zu werden. Hätte man ihr das auf den Kopf zugesagt, hätte sie darüber gelacht. Das war eine Gegnerin, mit ihr hätte Distelkamp alles getan, was Männer und Frauen miteinander tun konnten. Leider war sie verheiratet, und Distelkamp würde das Tun nicht überleben. Aber er stellte es sich gern vor – wenn auch nur, nachdem seine vierschrötige Haushälterin den Raum verlassen hatte. Solange diese Person sich im selben Raum aufhielt, konnte sich Distelkamp nichts vorstellen außer den Leckerbissen auf Platten und Tellern.
    Man formulierte einen Schriftsatz. Anna Rosländer wird kein Schiff bauen und erhält dafür ihre Werft zurück. Die Arbeit war schnell getan, die Kutsche fuhr vor.

26
    Keine Stunde später standen sich der Bürgermeister und die Witwe gegenüber. Sie hatte Gäste, die sich in einem anderen Teil des Hauses aufhielten. Er hatte den Reeder Schnabel an seiner Seite.
    »Bürgermeister«, sagte die Witwe und neigte den Kopf so leicht, dass man, würde man im falschen Augenblick blinzeln, die Bewegung verpasst hätte. Ihr Kleid war braun mit fragilen Stickereien. Lange Ranken, die man mit dem Auge unwillkürlich vom Anfang bis zum Ende verfolgen musste. Um die Schultern lag eine Stola – aus Stoff und kein Pelz. Die Dame hatte es wohl nicht nötig, Besuchern vorzuführen, wie reich sie war. Goldinger fand das herablassend, er hätte nie im Leben auf den Siegelring verzichtet, den er über dem zweiten Ring trug. Seine Frau fand das protzig, aber ihre Großeltern waren noch Fischer gewesen. Da fand man alles protzig, was auf zwei Beinen ging.
    »Man sieht sich zu selten«, entgegnete Goldinger .
    »Wer weiß, wofür es gut ist.«
    Wäre er schlagfertig gewesen, hätte er zu erwidern gewusst. So gaffte er die Witwe an und fragte sich, wen sie wohl zu Besuch hatte.
    Dann sagte die Witwe: »Sicherlich werdet Ihr mir mitteilen, dass ich endlich wieder auf die Werft kann. Die Werft, die mein Eigentum ist.«
    »Und jetzt ein Spital«, warf Schnabel ein.
    Sie sah ihn an, als würde sie in diesem Moment erkennen, dass der Bürgermeister einen Hund mitgebracht hatte. Wieder diese Kopfbewegung, bei der man nie sicher war, ob man sich nicht verguckt hatte.
    »Kranke Menschen sollten in einem richtigen Spital behandelt werden«, sagte Anna Rosländer.
    »Wenn die Umstände es zulassen«, entgegnete Schnabel eilfertig.
    »Es ist die Frage, was man will«, fuhr Anna fort. »Will man armen Menschen helfen oder will man sie für seine Zwecke ausnutzen?«
    »Keine Frage.«
    »Meine Frage.«
    »Die ich soeben beantwortet habe.«
    »Das wüsste ich aber. Der Seemann ist nicht

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