Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
eingeschüchtert verstummte Polikoff .
»Ich denke, ich habe nicht übertrieben«, fuhr die Hebamme fort. Was musste passieren, bevor sie sich daran erinnerte, wie gering ihr Stand war!?
»Schnabel mag Anna Rosländer nicht, das spricht nicht für ihn. Er hat seine Abneigung nicht verleugnet, das spricht wiederum für ihn. Er hat nicht mit offenem Visier gekämpft, aber man wusste doch, woran man bei ihm war. Ich meine also nicht den Reeder Schnabel. Denn in der Stadt fürchtet man sich sehr, seitdem uns die Pest erreicht haben soll, auch Schnabel. Daraus schließe ich, dass er an dem Lügenspiel nicht beteiligt ist.«
»Wovon spricht diese Frau?«, fragte stöhnend Polikoff .
»Sie spricht von der geheimen Gesellschaft«, antwortete die Hebamme. »Der Schwede hat nicht die Pest und weiß dies auch. Er hat die Pest zum Preis von 50 Talern. Man hat ihn gekauft, es ist ein abgekartetes Spiel. Die geheime Gesellschaft will Anna Rosländer besiegen und nimmt dafür in Kauf, dass sich 20 . 000 Menschen fürchten. Das können wir nicht zulassen. Jetzt wisst Ihr die Wahrheit und könnt die notwendigen Schritte einleiten.«
»Was stellt Ihr Euch vor?«, fragte Ebel , als sei ihm klar, worum es ging.
»Die Menschen müssen erfahren, dass sie keine Angst zu haben brauchen. Sie müssen wissen, dass niemand sterben wird.«
»Nennt Namen!«, forderte Polikoff . »Ich will Namen hören. Ich will hören, woher Ihr das alles wisst?«
»Nun, wir haben mit dem Schweden gesprochen.«
»Aber das geht doch nicht! Er wird bewacht! Wisst Ihr keine bessere Lüge!?«
»Wir sind übers Wasser auf die Werft gefahren und haben mit ihm geredet.«
»Aha! Ihr habt geltendes Recht gebrochen! Kollegen, Ihr habt es gehört. Das war ein Geständnis.«
»Würdet Ihr so freundlich sein und endlich Euer vorlautes Maul halten? Mit Verlaub, aber Ihr habt etwas von einem Marktweib an Euch.«
Schockiert starrte Polikoff den alten Arzt an. Das hast du nicht umsonst gesagt, dachte er. Das werde ich nicht auf sich beruhen lassen.
»Ihr habt Euch in Gefahr begeben«, sagte ein anderer Medicus zur Hebamme.
Lächelnd erwiderte sie: »Das tut Ihr jeden Tag. Das ist nichts Besonderes. Das weiß man vorher und tut es trotzdem.«
»Um welchen Preis?«
»Um den Preis der Wahrheit.«
»Ihr sprecht ein großes Wort gelassen aus.«
»Ich mache das nicht ohne Not, aber ich glaube, die Umstände sind ernst, und wenn wir nicht schnell handeln, werden sie außer Kontrolle geraten. Schlimm genug, dass die Pest viele Opfer fordert. Aber wollen wir die erste Stadt werden, in der die Menschen sterben, weil es nur das Gerede über die Pest gibt? Sollte uns das Leben nicht etwas mehr wert sein?«
Polikoff hasste rhetorische Fragen. Er selbst war ein glühender Anhänger dieser Art der Gesprächsführung. Treibe den anderen zu einem Punkt, an dem er deine Fragen nur in dem von dir gewünschten Sinn beantworten kann. Herrlich! Was für ein Triumph! Er hasste diese Frau.
»Wie habt Ihr es geschafft, dass er Euch die Wahrheit sagt?«, fragte ein Medicus .
»Wir mussten ihm Geld versprechen. Er nimmt Geld für Lügen und für die Wahrheit. Bei 55 Talern war er zur Wahrheit bereit. Wir mussten ihm versprechen, dass er nicht durchgehauen wird.«
»Habt Ihr auch versprochen, dass er nicht ertränkt wird?«
Sie lächelte den Medicus an, er lächelte zurück. Polikoff begann sich nach Hamburg zurückzusehnen. Dort war alles berechenbar und mittelmäßig. Dort gehörte er hin. Dort waren die Armen bescheiden und die Reichen freundlich zu Ärzten. Dort hasste man die Lübecker und hielt sie für eingebildet, weil sie ein ganzes Meer beherrscht hatten, was den Hamburgern nie gelungen war. Sie lagen ja nicht einmal an der offenen See, sondern zwei Tagesreisen von ihr entfernt.
Die Hebamme hatte mittlerweile berichtet, dass der Schwede untersucht worden war. Angeblich waren zwei Personen dabei gewesen, die sich mit Pestkranken auskannten, weil sie Erfahrung darin hatten, sie zu pflegen. Namen wollte sie nicht nennen und bat dafür um Verständnis. Aber es sei niemand dabei gewesen, der sich in diesem Raum aufhalten würde.
»Da bin ich ja beruhigt«, höhnte Polikoff .
Trine Deichmann sagte: »Es war alles zu perfekt. Ein ausländischer Seemann, er besichtigt die Werft, die Krankheit bricht aus. Wenn das zwei Tage später passiert wäre, hätte ich mich vielleicht täuschen lassen. Aber so …«
Und dann nannte sie endlich die Namen, denen alle entgegenfieberten.
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