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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Plünderung statt, wurde kein Holz für die Winterfeuerung geraubt. Diese Männer wussten, was sie tun mussten. Und dass es auch der letzte und dümmste wusste, dafür sorgten die Rufe, die ihnen in den Ohren klangen. Männer riefen und dirigierten, ordneten an, lenkten, schaufelten mit den Armen, lachten, schimpften, packten einen Träger und stießen ihn in eine neue Richtung. Nichts daran war Drohung und Strafe, Trine Deichmann war von einer ungeheuren Energie umgeben, frohgemut, zielstrebig, guten Willens. Auch Querner gehörte zu denen, die Anweisungen riefen! Auch er wirkte in dem Gewusel zuversichtlich und erleichtert. Nirgendwo entdeckte Trine jemanden, der sich über das Aussehen der Fremden wunderte. Die Haut jedes Einzelnen wies Zeichen von Schnitten und Stichen auf, die vernarbt waren. Aber nicht bei allen gleich gut.
    Alle waren auf den Beinen, alle arbeiteten! Bis auf einen. Der saß auf einer Kiste, die Beine von sich gestreckt, und war damit beschäftigt, sich eine Zigarre zu rollen. Hingebungsvoll widmete er sich der fummeligen Arbeit, biss die Spitze ab, zog einen Fidibus hervor, hielt einen vorbeigehenden Mann an und holte sich von dessen Pfeife Feuer für die eigene Zigarre. Er inhalierte, behielt den Rauch in den Lungen und betrachtete den Betrieb um sich herum voller Wohlwollen, wie eine Glucke ihre Küken beaufsichtigt und sich dabei wohlfühlt .
    »Joseph Deichmann, wir müssen reden!«
    Aus Mund und Nasenlöchern der männlichen Glucke strömte Rauch.
    »Mein geliebtes Weib. Was für eine schöne Überraschung.«
    »Überraschung könnte die Sache treffen. Ob sie schön ist, wird sich zeigen.«
    Er stand auf, bevor sie ihn in die Höhe ziehen konnte. Sie wusste noch keine Einzelheiten, aber sie ahnte schon, dass sie in Kürze einen der größten Streiche ihres Mannes zu hören bekommen würde.
    Auf dem Weg in einen ruhigen Winkel winkte er mehrmals Männern zu, die ihn vertraulich anredeten.
    »Man kennt sich«, knurrte Trine.
    »Die Welt ist klein.«
    »Aber man kann nicht überall gleichzeitig sein   – bis auf meinen Mann.«
    Joseph Deichmann hatte deshalb so viel Erfolg bei Frauen, weil er ihre Signale früher als andere Männer empfing. Die seiner Trine empfing er besonders schnell, manchmal schon, bevor sie Trines Körper verlassen hatten.
    »Ich kann natürlich alles erklären«, sagte er zuvorkommend.
    »Komisch, daran hatte ich keinen Zweifel. Wie kommt das nur?«
    »Du bist klug und verdienst es, einen klugen Mann zu haben.«
    Sie durfte ihn nicht anblicken, nicht jetzt, jetzt gerade nicht. Sie durfte nichts tun, was ihren Zorn unterwandern konnte. Und sie wusste ja auch, was sie sehen würde: diesen unwiderstehlichen Gesichtsausdruck zwischen liebedienerischem und unverschämtem Lächeln. Sie hatte diesen Kerl nicht zufällig geheiratet, auch wenn beide bis zum heutigen Tag darüber stritten, wer seinerzeit die treibende Kraft gewesen war.
    Trine sagte: »Ich fange mit dem Wichtigsten an. Warum sehen diese Menschen so aus? Die Wunden beweisen, dass sie Pestbeulen hatten und dass diese Pestbeulen aufgeschnitten und ausgedrückt wurden.«
    »Womit sie gesund wären.«
    »Lenk nicht ab. Da laufen 30 Männer herum, 30 Pestkranke! Das ist eine Katastrophe!«
    »Streng genommen sind es 36, und drei von ihnen sind keine Männer.«
    »Dann eben Kinder.«
    »Auch keine Kinder.«
    »Was soll das werden? Ein Rätselspiel? – Frauen!? Frauen arbeiten auf der Werft!?«
    »Als Tischler und Zimmerfrau. Das müsste dich freuen.«
    Er wollte sie ablenken, sie kannte diese hinterlistige Taktik. Sie blieb hart und störrisch. Am Wasser packte er endlich aus. Die 36 stammten aus Uelzen, dem Ort im Süden, wo Joseph Deichmann gelebt hatte, als er vor 20 Jahren Trine kennenlernte . Sie war einmal dort gewesen, ein kleiner Ort, noch verschlafener als die verschlafenen Orte rings herum. Wenn man nicht aufpasste, war man hindurchgefahren , bevor man gemerkt hatte, dass man angekommen war.
    »Immerhin eine Hansestadt«, betonte Joseph.
    »Es gibt 50 Hansestädte, die niemand kennt. Was ist so Besonderes an dem Kaff?«
    »Ort. Nennen wir es einfach Ort. Das klingt so, als würden dort Menschen leben und nicht Vieh.«
    Bei Trine fiel der Groschen. »War da nicht   …? Da war doch   … In Uelzen ist die Pest.«
    Vor wenigen Jahren hatte die Pest den Ort entdeckt und reiche Beute gemacht. Jeder dritte Bewohner war gestorben, nach kurzer Zeit hatte der Ort in der bekannten Form nicht mehr

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