Die Adlon - Verschwoerung
los, wenn man Ärger will. Ich vertäute das Boot am Ufer und half Mrs. Charalambides beim Aussteigen.
«Wir suchen Solly Mayer», sagte sie und lächelte freundlich in die Runde. «Kennen Sie ihn vielleicht?»
Niemand antwortete ihr.
«Ich bin Noreen Charalambides, geborene Eisner», sagte sie. «Ich bin Jüdin. Das sage ich Ihnen, damit Sie verstehen, dass wir Ihnen nichts Böses wollen, oder Herrn Mayer. Ich bin eine amerikanische Journalistin, und ich suche Informationen. Wir glauben, dass Solly Mayer uns vielleicht behilflich sein kann. Also bitte, haben Sie keine Angst.»
«Wir haben keine Angst», sagte einer der Männer. Er war groß und bärtig und trug einen langen schwarzen Mantel und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. Zwei lange Locken hingen an seinen Schläfen herunter wie Seetang. «Wir dachten, Sie wären vielleicht Hitlerjugend. Sie haben irgendwo in der Nähe ein Lager und schikanieren uns immer wieder. Aus Spaß.»
«Das ist furchtbar», sagte Mrs. Charalambides.
«Meistens versuchen wir, sie zu ignorieren», sagte der Jude mit den Ringellöckchen. «Aber ihre Angriffe werden in letzter Zeit immer wütender.»
«Wir wollen nur in Frieden leben», sagte ein anderer Mann.
Ich sah mich in ihrem Lager um. An einer Stange hingen mehrere Kaninchen, daneben standen ein paar Angelruten. Auf einem Metallrost über einem Feuer dampfte ein großer Kessel. Zwischen zwei dünnen Zelten war eine Wäscheleine aufgespannt. Angesichts des herannahenden Winters räumte ich ihnen keine großen Überlebenschancen ein. Mir war kalt, und ich fühlte mich hungrig, wenn ich diese Gestalten nur anblickte.
«Ich bin Solly Mayer.»
Er war groß gewachsen, mit kurzem Hals und wie alle anderen deutlich gebräunt vom Leben an der frischen Luft. Trotzdem hätte ich ihn auch so direkt erkennen müssen. Die meisten Boxer haben eine horizontal gebrochene Nase - die des Türken hingegen war außerdem auch vertikal genäht worden. Sie sah aus wie ein kleines rosafarbenes Polsterkissen, das mitten in der weiten Fläche seines Gesichts lag. Wie man durch eine Nase wie diese atmen konnte, war mir ein Rätsel.
Mrs. Charalambides berichtete ihm von dem Artikel, den sie schreiben wollte, und davon, dass sie sich erhoffte, Amerika würde die Berliner Olympischen Spiele letztendlich doch noch boykottieren.
«Sie meinen, der Boykott ist noch nicht beschlossene Sache?», fragte der Mann mit dem Bart. «Die Amis wollen tatsächlich eine Mannschaft entsenden?»
«Ich fürchte, so ist es», sagte Mrs. Charalambides.
«Aber Roosevelt kann doch unmöglich ignorieren, was hier geschieht!», sagte der große Mann. «Er ist Demokrat! Und was ist mit all den Juden in New York? Sie werden nicht zulassen, dass er die Vorgänge hier ignoriert.»
«Ich denke, das ist genau das, was er im Moment am liebsten würde», sagte sie. «Verstehen Sie - die Regierung hat unter ihren politischen Gegnern schon jetzt den Ruf, zu freundlich mit den amerikanischen Juden umzugehen. Roosevelt denkt wahrscheinlich, dass es für ihn politisch besser ist, wenn er in dieser Frage nicht Stellung bezieht. Meine Zeitung würde da gern etwas unternehmen. Genau wie ich.»
«Und Sie glauben», sagte der Türke, «Sie glauben, dass Sie nur einen Artikel schreiben müssen über irgendeinen toten jüdischen Boxer, und alles entwickelt sich so, wie Sie es wünschen?»
«Ja. Ich denke, es könnte funktionieren.»
Ich reichte dem Türken das Foto von «Fritz». Er setzte sich eine Lesebrille auf seinen winzigen Nasenrücken und starrte das Foto kritisch an, während er es auf Armeslänge von sich hielt.
«Wie viel hat dieser Bursche gewogen?», fragte er mich dann.
«Als er aus dem Kanal gefischt wurde, neunzig Kilo.»
«Also war er wohl neun oder zehn Kilo leichter, als er noch trainiert hat», stellte der Türke fest. «Ein Mittelgewicht. Oder vielleicht ein Halbschwergewicht.» Er sah das Foto erneut aus zusammengekniffenen Augen an, dann schlug er mit dem Handrücken dagegen. «Ich weiß nicht. Nach einer Weile im Ring sehen diese Kerle alle gleich aus. Wie kommen Sie auf die Idee, dass er jüdisch war? In meinen Augen sieht er aus wie ein Goi.»
«Er war beschnitten», sagte ich. «Und, fast hätte ich es vergessen, er war Rechtsausleger.»
«Ich verstehe.» Der Türke nickte. «Nun ja ... vielleicht ... vielleicht Erich Seelig. Er war vor ein paar Jahren Meister im Halbschwergewicht. Stammt aus Bromberg. Er war Jude und hat ein paar ziemlich gute
Weitere Kostenlose Bücher