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Die Adlon - Verschwoerung

Die Adlon - Verschwoerung

Titel: Die Adlon - Verschwoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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einzige Grund, aus dem nichts davon in der Zeitung gestanden hat, ist, dass wir keine Panik auslösen möchten. Und dann kommt ihr jungen Rabauken daher und macht beinahe die gesamte Operation zunichte!»
    «Sie können uns nichts vorwerfen, Herr Kommissar!», sagte ein Junge, der bisher geschwiegen hatte. «Diese Leute sehen aus wie Juden!»
    Ich versetzte auch ihm eine Ohrfeige. So hätten sie einen wahren Eindruck davon, was die Gestapo in Wirklichkeit tat. Auf diese Weise hatte Deutschland vielleicht am Ende doch noch eine Zukunft.
    «Halt den Mund!», schnarrte ich. «Und sprich nicht, wenn du nicht gefragt wirst. Hast du das verstanden?» Die Hitlerjungen nickten widerstrebend.
    Ich packte einen an seinem Halstuch.
    «Du da! Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?»
    «Es tut mir leid, Herr Kommissar.»
    «Es tut dir leid? Das ist alles? Das hätte meinen Kollegen das Auge kosten können. Ich hätte nicht übel Lust, mit euren Eltern zu reden, damit sie euch ordentlich über das Knie legen. Besser noch, ich sollte euch alle verhaften und in ein Konzentrationslager werfen lassen! Wie gefällt euch das, eh?»
    «Bitte nicht, Herr Kommissar. Wir haben es nicht so gemeint.»
    Ich ließ den Jungen los.
    Inzwischen blickten alle recht zerknirscht drein. Sie sahen weniger wie Hitlerjungen als vielmehr wie dumme Schulbuben aus. Ich hatte sie da, wo ich sie haben wollte. Wie früher am Alex, wenn ich einen Trupp junger Beamter geführt hatte. Aber schließlich machen Polizisten die gleichen dummen Sachen wie Schuljungen - abgesehen von den Hausarbeiten.
    «Also gut. Für dieses Mal lasse ich die Sache auf sich beruhen. Das Gleiche gilt für euch, habt ihr verstanden? Ihr werdet mit niemandem darüber reden. Mit niemandem! Habt ihr das verstanden? Das hier ist eine verdeckte Operation. Wenn ihr das nächste Mal das Bedürfnis habt, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen: Lasst es. Nicht jeder, der wie ein Jude aussieht, ist auch einer. Vergesst das nicht. Und jetzt geht nach Hause, bevor ich es mir anders überlege und euch alle mit auf die Wache nehme, weil ihr einen Polizeibeamten angegriffen habt. Vergesst nicht, was ich euch gesagt habe. In diesem Wald treibt ein bösartiger Mörder sein Unwesen, also haltet ihr euch am besten von hier fern, bis ihr in der Zeitung lest, dass er geschnappt wurde.»
    «Jawohl, Herr Kommissar.»
    «Das machen wir, Herr Kommissar.»
    Ich kehrte zu dem kleinen Zeltlager am Seeufer zurück. Die Abenddämmerung setzte allmählich ein. Die Frösche stimmten ihr lautes Konzert an. Fische sprangen im Wasser. Einer der Bewohner des Lagers hatte bereits eine Leine ausgeworfen. Der Mann mit dem Hut war nicht schlimm verletzt worden. Er rauchte eine von meinen Zigaretten, um seine Nerven zu beruhigen.
    «Was haben Sie denen gesagt, dass sie so schnell abgehauen sind?», wollte der Türke von mir wissen.
    «Ich habe ihnen erzählt, Sie wären alle verdeckte Ermittlungsbeamte», sagte ich.
    «Und das haben sie Ihnen geglaubt?», fragte Mrs. Charalambides.
    «Selbstverständlich haben sie mir geglaubt.»
    «Aber wieso? Es ist eine so offensichtliche Lüge!»
    «Wann hat das die Nazis davon abgehalten, zu lügen?», konterte ich und nickte in Richtung unseres Bootes. «Steigen Sie ein. Wir fahren zurück.»
    Ich nahm meine letzte Zigarette von ihrem Platz hinter meinem linken Ohr und zündete sie an einem glühenden Ast an, den der Türke mir reichte. «Ich denke, man wird Sie jetzt in Frieden lassen», sagte ich zu ihm. «Ich habe ihnen zwar keine Gottesfurcht beigebracht, aber Angst vor der Gestapo ist genauso wirksam. Bei diesen Kindern vielleicht sogar noch wirksamer.»
    Der Türke lachte und schüttelte mir die Hand. «Ich danke Ihnen.»
    Ich löste die Leine und stieg neben Mrs. Charalambides in das Motorboot. «Wenn es eine Sache gibt, die ich in den vergangenen paar Jahren gelernt habe», sagte ich, indem ich den Motor anwarf, «dann die, dass Lügen meistens helfen. Solange man selbst daran glaubt, ganz egal, wie unerhört es klingt, dann kommt man heutzutage mit fast allem durch.»
    «Und ich dachte, nur ein Nazi könnte so zynisch sein», sagte sie.
    Ich denke, sie meinte es scherzhaft, doch es war mir nicht recht, dass sie so denken mochte, auch wenn ich wusste, dass sie recht hatte. Ich war ein Zyniker. Ich hätte zu meiner Verteidigung anführen können, dass ich ein ehemaliger Polizist war und dass ich in dieser Eigenschaft eines wusste: Alles, was man uns erzählte, war eine

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