Die Adlon - Verschwoerung
möglicherweise als Müllkippe bezeichnet, doch für mich war sie ein Palast.
«Ich warte auf meinen Innenarchitekten», sagte ich. «Er wollte mir ein Porträt des Führers bringen. Dann sieht es bestimmt hübsch und behaglich aus.»
Sie nahm das Glas, das ich ihr anbot, und starrte mir prüfend ins Gesicht. «Dieser Striemen», sagte sie. «Du solltest etwas darauftun.»
Ich zog sie näher zu mir. «Wie wäre es mit deinem Mund?»
«Hast du Vaseline im Haus?»
«Was ist das?»
«Eine Petroleum-Salbe.»
«He, hör zu! Ich werd's überleben. Ich war in der Schlacht von Amiens, und ich hab's wieder hierhergeschafft. Glaub mir, das war gar nicht so einfach.»
Sie zuckte die Schultern und löste sich von mir. «Nur zu, spiel den harten Mann. Ich dummes Ding hatte den merkwürdigen Gedanken, dass ich mir etwas aus dir mache, was bedeutet, dass es mir nicht gefällt, wenn dir jemand mit der Peitsche in das Gesicht schlägt. Wenn dich jemand auspeitscht, dann höchstens ich, und ich achte darauf, keine Spuren zu hinterlassen.»
«Danke, ich werd's mir merken. Andererseits war es keine Peitsche. Es war eine Hundeleine.»
«Du hast gar nichts von einem Hund gesagt.»
«Es war auch kein Hund da. Ich habe den Eindruck, dass Goerz viel lieber mit einer Peitsche herumlaufen würde, aber die Leute in der Tram starren einen seltsam an, wenn man mit so einem Ding in der Hand herumläuft. Selbst hier in Berlin.»
«Glaubst du, er schlägt seine jüdischen Arbeiter damit?»
«Sollte mich nicht überraschen.»
Ich leerte den Kümmel und behielt ihn für einen Moment auf der Zunge, genoss die Wärme, die sich nach und nach in meinem Körper ausbreitete. In der Zwischenzeit hatte Noreen eine Kamillensalbe gefunden, die sie auf meine Wunden gab. Ich denke, das war für sie wichtiger als für mich. Ich schenkte mir einen weiteren Kümmel ein. Was mir wiederum sehr wichtig war.
Wir nahmen uns am Taxistand einen Wagen, um zu der Adresse in Britz zu gelangen. Im Süden eines modernen Wohnblocks, genannt Hufeisen, und gleich neben der Großmann-Coburg-Fleischkonservenfabrik lag ein heruntergekommener Block mit einem weiten Torbogen, der den Eingang bildete zu mehreren Hinterhöfen und Mietskasernen. Hier hatte der Architekt wie der Messias persönlich die Menschen von ihrem Elend und ihrer Armut erlösen wollen. Ich hatte nie etwas gegen ein wenig Elend gehabt. Um die Wahrheit zu sagen, für eine lange Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war es mir kaum aufgefallen.
Wir passierten einen weiteren Torbogen und kamen zu einem zerfledderten Schild, auf dem Infrarotlampen für Gesundheitszwecke angeboten wurden. Wir stiegen eine dunkle Treppe in das dämmerige Innere des Hauses hinauf. Irgendwo spielte eine Drehorgel eine melancholische Weise, die zu unserer Stimmung passte. In einem deutschen Mietshaus würde auch die Wiederkunft des Herrn wie ein trauriges Spektakel wirken.
Auf halbem Weg die Treppe hinaufkam uns eine Frau entgegen. Sie hatte einen Fahrradreifen in der Hand und einen Laib Brot unter dem Arm. Ein paar Schritte hinter ihr kam ein Knabe von vielleicht zehn oder elf Jahren in der Uniform der Hitlerjugend. Die Frau lächelte und knickste leicht in Noreens Richtung - oder eher in Richtung von Noreens Zobel. Noreen fragte, ob wir hier die Wohnung des Herrn Deutsch finden würden. Die Frau mit dem Fahrradreifen bejahte ehrfürchtig, und wir eilten weiter nach oben, wo wir einer zweiten Frau auswichen, die auf Knien die Stufen mit einer schweren Bürste schrubbte. In einem Putzeimer war eine übelstinkende Brühe. Sie hatte gehört, wie wir uns nach Joseph Deutsch erkundigt hatten, und als wir bei ihr angekommen waren, brummte sie missmutig: «Sagen Sie dem Juden, dass er an der Reihe ist mit Putzen.»
«Sagen Sie es ihm doch selbst», entgegnete Noreen.
«Habe ich», sagte die Frau. «Aber er hat nicht reagiert. Er ist nicht mal zur Tür gekommen. Deswegen mache ich es jetzt.»
«Vielleicht ist er ja nicht zu Hause», sagte Noreen.
«O doch. Er ist in seiner Wohnung. Er muss da sein. Ich hab ihn vor einer Weile hochgehen sehen, und er ist nicht wieder runtergekommen. Außerdem steht seine Wohnungstür offen.» Sie machte sich mit der Bürste erneut über die Stufen her. «Wenn Sie mich fragen, er geht mir aus dem Weg.»
«Lässt er denn seine Wohnungstür immer offen?», fragte ich misstrauisch.
«Was? Hier, in dieser Gegend? Machen Sie Witze, der Herr? Nein, bestimmt nicht. Ich denke, er erwartet jemanden. Sie
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