Die Äbtissin
oder du bekommst meine Peitsche zu schmecken!«, erwiderte der Mann und legte drohend die Hand auf die Peitsche, die an seinem Gürtel hing. Dann entschuldigte er sich: »Sie sind nicht alle so, Euer Gnaden. Wir haben hier Frauen aller Art, aber ich versuche, sie gemäß ihrer Vergehen zu trennen.«
»Und welche Vergehen sind das?«, fragte sie und gab sich Mühe, freundlich zu erscheinen.
»Gott sei Dank haben wir keine Verbrecherinnen darunter. All diese Unglücklichen sind hier, weil sie sich anstößig verhalten haben. Die meisten sind Dirnen, die auf frischer Tat ertappt wurden. Sie werden eine Weile hier bleiben, bevor sie wieder gehen können. Andere wurden wegen Untreue, Ungehorsam, Verleumdung und ähnlichem von Gesetz wegen verurteilt oder weil sie ihr Zuhause verlassen haben.«
Je länger sie, verfolgt von den Blicken der Gefangenen, zwischen Unrat und Ratten umherwanderten, desto größer wurde Marías Empörung. Einige der Frauen zeigten deutliche Anzeichen von Wahnsinn.
»Müssen sie für den Rest ihres Lebens hier bleiben?«
»Oh, nein!«, rief der Mann. »Mit Ausnahme der Dirnen und Verleumderinnen, die den Tribunalen der Justiz unterstehen, können sie gehen, sobald ihre Familien sie wiederhaben wollen. Ihr Aufenthalt hier ist eine Strafe, damit sie ihr schlechtes Verhalten bereuen. Sie dürfen nach Hause zurück, wenn ihre Verwandten ihnen vergeben, was in der Regel geschieht.«
Der Dorfschulze war von seinen Worten überzeugt.
»Und wenn niemand sie zurückhaben will?«
»Das kommt selten vor.« Der Mann wirkte verwirrt. »Nach einigen Monaten, längstens einem Jahr werden sie abgeholt.«
»Und falls niemand kommt?«, beharrte María.
»Dann bleiben sie hier. Wir haben einige wenige solcher Fälle, und die waren alle schon hier, als ich das Haus übernahm«, versuchte er sich zu rechtfertigen.
María beschloss, dass der Zeitpunkt gekommen war, ihm den Grund ihres Besuches zu eröffnen.
»Vor vielen Jahren, im Jahre 1484, wurde eine Frau namens Toda de Larrea hierher gebracht. Ihre Sünde bestand darin, eine uneheliche Tochter bekommen zu haben. Ich möchte wissen, was aus ihr geworden ist, ob sie noch lebt oder gestorben ist.«
Ihre Stimme verriet nichts von der starken Erregung, die sie in diesem Augenblick empfand, sie klang gelassen, zu gelassen vielleicht. Der Dorfschulze runzelte die Augenbrauen und wollte antworten, doch dann besann er sich anders und lächelte.
»Das ist über dreißig Jahre her«, war alles, was er sagte.
»Zweiunddreißig, um genau zu sein. Könnt Ihr mir etwas über die Angelegenheit sagen?«
»Nun… wisst Ihr…« Der Mann zögerte, bevor er weitersprach. »Ich war damals natürlich noch nicht für dieses Haus verantwortlich, und die wenigen Archive, die wir besaßen, sind bei einem Brand vor einigen Jahren verloren gegangen. Ich kann Euch indes versichern, dass es keine Gefangene mit dem Namen…«
»… Toda de Larrea.«
»Nein, es gibt hier niemanden dieses Namens. Ihr werdet verstehen, dass viel Zeit vergangen ist, und vielleicht wurde diese Toda zurückgeholt oder ist gestorben.«
Niemand aus ihrer Familie hatte sie zurückgeholt, ganz einfach deshalb, weil sie nicht gewusst hatten, wo sie sich befand. So bestätigten sich Marías Befürchtungen. Ihre Mutter war fern der Heimat und fern der Ihren gestorben, weil sie das Unglück gehabt hatte, von einem König begehrt und danach vergessen worden zu sein. Sie seufzte tief.
»Gibt es niemanden, der mir etwas über sie erzählen könnte?«, fragte sie ohne große Hoffnung.
»Es ist schwierig, worum Ihr da bittet, Señora, allerdings… es gibt da eine Gefangene, glaube ich mich zu erinnern, die schon hier war, als ich kam. Vielleicht kann sie Euch etwas sagen.«
Er führte sie durch einige enge Gänge zu einem kleinen, dunklen Verschlag, in dem es nach Urin und Exkrementen stank. Durch eine enge Luke drang nur ein schwacher Lichtstrahl. María schauderte es und sie machte eine unwillige Miene, die nicht unbemerkt blieb.
»Aldonza ist verrückt«, entschuldigte sich der Dorfschulze. »Wir müssen sie hier einsperren, denn als sie das letzte Mal in den Hof kam, versuchte sie sich in den Brunnen zu stützen. Wir können nicht zulassen, dass sie sich umbringt. Das ist gegen Gottes Gesetz und das unserer heiligen Mutter Kirche.«
María sagte nichts zu der letzten Bemerkung des Kerkermeisters. Eine merkwürdige Theorie war das, die es einem Menschen verbot, sich das Leben zu nehmen, aber nichts
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