Die Äbtissin
gewiss?«, fragte sie die Witwe.
»So gewiss, wie ich gerade mit Euch spreche«, antwortete Doña Gracia. »Don Elmiro war ein Vetter meines verstorbenen Mannes – Gott sei seiner Seele gnädig! – und ich bin wie eine Schwester für ihn. Er selbst erzählte mir, was in jener Nacht geschah. Der König lag im Sterben, doch die Bitten seiner Edelleute, er möge einer Beichte zustimmen und die heiligen Sakramente empfangen, blieben vergeblich. Er wollte nichts davon wissen, und beim Anblick der Gewänder seines Kaplans und meines Vetters riss er entsetzt die Augen auf. Er befahl ihnen, unverzüglich das Zimmer zu verlassen. Im Morgengrauen starb er, alleine, ohne die Gebete, die einen Todkranken stärken, der seine letzte und längste Reise unternimmt, und ohne die Absolution erhalten zu haben.«
Sie schwiegen. María dachte traurig, dass ihr Vater nicht den nötigen Mut gehabt hatte, sich dem Tod zu stellen. Der Mann, der siegreich aus Tausenden Kämpfen hervorgegangen war, der mutige Kriegsherr, beneidet und gefürchtet von den tapfersten Soldaten, war Gott geflohen wie ein Feigling. Gerne hätte sie geglaubt, dass es nicht Angst gewesen war, sondern Empörung, die ihn zu seiner Weigerung bewegt hatte. Empörung darüber, dass er nicht mehr auf der Welt sein würde, um die Geschicke seiner Untertanen zu lenken und nach Belieben Allianzen und Bündnisse einzugehen und wieder zu brechen; darüber, dass er nicht länger die wichtigste Figur in dem Schachspiel sein würde, das er selbst aufgestellt hatte.
»Mir wurde gesagt«, wechselte sie das Thema, »dass es hier einen Frauenkerker gibt und kein Büßerkloster, wie ich ursprünglich dachte.«
»Nun, den gibt es tatsächlich. Vor langer Zeit gab es hier ein Nonnenkloster. Dorthin schickte man Frauen mit einem schlechten Lebenswandel. Ihr versteht…« Doña Gracia zwinkerte verschwörerisch: »Dirnen und Diebinnen, aber auch untreue Ehefrauen oder unfolgsame Töchter, deren Familien sie auf den rechten Weg bringen wollten. Ihr wisst schon…«
María wusste nichts, aber sie wartete geduldig, dass die Frau fortfuhr.
»Die Nonnen sind weggegangen, warum, weiß ich nicht, und die weltliche Macht hat das Kloster übernommen und in einen Kerker verwandelt.«
»Und wann war das?«
»Oh, vor vielen Jahren schon. Ich war noch ein junges Mädchen, als die Nonnen das Kloster verließen und es zu dem wurde, was es heute ist. Jedenfalls«, fuhr die Frau fort, erfreut, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, »werden dort nach wie vor Frauen mit schlechtem Lebenswandel eingesperrt. Es ist kein angenehmer Anblick, das könnt Ihr mir glauben. Wir Frauen aus dem Dorf gehen manchmal hin, um ihnen Essen und Kleidung zu bringen, ich weiß genau, wovon ich spreche.«
»Kann man diesen Ort besuchen?«
»Nichts leichter als das«, antwortete die Witwe. »Der Dorfschulze ist mein Schwager. Ich selbst kann Euch begleiten, obgleich ich nicht verstehe, weshalb Ihr einen so traurigen, elenden Ort sehen wollt. Es gibt wesentlich schönere Plätze in Madrigalejo.«
María gab ihr keine Erklärungen, sondern beschränkte sich darauf, sich von ihr zu verabschieden, nicht ohne zuvor ausgemacht zu haben, wann sie am nächsten Tag zu dem ehemaligen Kloster aufbrechen würden.
Es gab tatsächlich keine Schwierigkeiten. Der Dorfschulze erklärte sich bereit, sie höchstpersönlich hinzubringen, derweil seine Schwägerin auf ein Schwätzchen bei seiner Frau blieb. Sie bekamen nicht viel Besuch, und die Anwesenheit einer Äbtissin war ein Ereignis für ihn.
»Euer Gnaden werden sehen, dass alles in bester Ordnung ist«, erklärte er, während er sie durch die Einrichtung führte. »Den Frauen, die sich unter meiner Obhut befinden, mangelt es weder an Essen noch an Reinlichkeit.«
María fragte sich, was dieser Mann unter Reinlichkeit verstand. Unzählige Ratten huschten in aller Seelenruhe über den Hof und erlaubten sich sogar ein Sonnenbad, die rosigen Bäuche nach oben gereckt. Das Wasser im Brunnen roch faulig. Dort, wo einmal der Garten des Kreuzgangs gewesen sein musste, war nur noch ein staubiges Geviert, und überall häufte sich der Unrat. Sie sagte nichts und ließ sich weiter führen.
Grüppchen schwatzender Frauen standen herum. Wenn María und der Dorfschulze vorbeikamen, verstummten ihre Gespräche. »Na, Bürgermeister!«, rief eine zahnlose Frau, deren Haar ein Wust fettiger Strähnen war. »Sperrt man nun schon die Nonnen zu den Huren?«
»Halt dein lästerliches Maul
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