Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
Vom Netzwerk:
darin umherflatterten, aber sie nahm sie nicht wahr.
    »Das waren seine Worte«, fuhr Doña Elvira fort. »Du warst sehr verängstigt und hast geweint. Du hast nichts gesagt, nur geweint. Ich brachte dich in eine der Zellen und blieb bei dir, bis du eingeschlafen warst. Viele Tage lang warst du wie ein verschrecktes Vögelchen, das versucht, dem Käfig zu entkommen. Dann hast du dich eingewöhnt, das Lächeln kehrte auf dein Gesicht zurück, und bis heute, María Esperanza, habe ich diesen in die Enge getriebenen Blick nicht mehr in deinen Augen gesehen.«
    »Als man mich herbrachte, wusstet Ihr da, wer mein Vater war?«
    Doña Elvira seufzte, aber sie sah ihr direkt in die Augen.
    »Ich wusste, dass du mir diese Frage stellen würdest, und die Antwort lautet nein. Was ich mir vorstellen, denken und schlussfolgern konnte, war allein meine Angelegenheit. Im Laufe meines Ordenslebens bin ich oft dabei gewesen, wenn man uns kleine Mädchen übergab, auch Neugeborene. Aus allerlei Gründen, die hier nichts zur Sache tun, habe ich die Bekanntschaft von Persönlichkeiten gemacht, die einen gewissen Einfluss bei Hofe haben, und ich glaube, dass mich meine Schlüsse nicht immer fehlgeleitet haben. Aber du in deiner Funktion als Äbtissin weißt besser als jeder andere, dass wir niemals Fragen stellen und das annehmen, was Gott uns gibt, oder…« – die Oberin lächelte kraftlos – »was man uns bringt. Darum argwöhne nicht, dass ich über deine Herkunft Bescheid wusste, denn so war es nicht.«
    »Und die Frau aus meinem Albtraum? Was ist mit ihr geschehen? Habt Ihr keine Frau bei diesen Männern gesehen?«
    »Falls sie sich bei ihnen befand, so habe ich sie nicht gesehen. Durch die Dunkelheit und die Überraschung ob dieses unerwarteten Besuchs war es mir unmöglich, auf jemand anderen als dich und den Mann mit der Narbe zu achten.«
    Die Tränen traten María in die Augen und rollten haltlos über ihr Gesicht, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Es war, als wollten sie die Bitternis all der kummervollen Jahre voller Fragen hinwegwaschen, auf die es keine Antworten gab. Ein unfassbarer Schmerz hatte sich ihrer bemächtigt und sie fühlte einen solchen Druck auf der Brust, dass sie tief die jasmingeschwängerte Brise einatmen musste, um Luft zu bekommen.
    »María die jüngere… «, sagte sie schließlich.
    »Sie ist genau wie du hierher gekommen, zwei oder drei Jahre später. Derselbe Mann mit der Narbe hat sie gebracht.«
    Kurz darauf verabschiedete sich María von Doña Elvira und ging in die Kapelle, wo sie den Trost zu finden hoffte, den sie brauchte. Die Kapelle war dunkel, nur erleuchtet von dem Licht, das durch die bunten Glasfenster über dem Altar fiel. Sie wollte zu ihrem angestammten Chorsitz gehen, doch sie schaffte es nicht bis dorthin und ließ sich auf den erstbesten Platz sinken.
    Die Königin befiehlt es… Die Königin hatte von ihrer Existenz gewusst, sie hatte angeordnet, sie im Kloster von Madrigal einzusperren, ganz in der Nähe ihres alten Palastes. Deshalb ihr Hass und diese Blicke, die so kalt waren wie die Schneide eines Dolches. Damals hatte sie es nicht verstanden, doch nun verstand sie. Sie war der lebende Beweis für die Untreue des Königs. Sie und die arme María die Jüngere, ihre leibliche Schwester. König Ferdinand, genannt der Katholische, Herrscher über Aragón und Neapel, Geißel der Ketzer, der Eroberer, Sieger in so vielen Schlachten, Initiator der Entdeckung West-Indiens, Förderer der Künste und Universitäten – ein Ehebrecher und Vater von Bastarden.
    Sie empfand nichts für diesen Vater, von dessen Existenz sie soeben erfahren hatte. Auf seine alten Tage mochte ihn sein Gewissen dazu getrieben haben, mehr als dreißig Jahre nach ihrer Geburt vom Papst die Legitimierung seiner unehelichen Töchter zu erbitten. Die Königin befiehlt es… und der König hatte es hingenommen. Er hatte hingenommen, dass seine Töchter lebenslang hinter Klostermauern verschwanden, dass man sie von ihren Müttern trennte und ihnen ihre Erinnerungen nahm. Er hatte nie versucht, sie zu sehen. Er hatte nicht einmal wissen wollen, wie sie aussahen, noch hatte er sie ein einziges Mal im Arm halten wollen. Die Möglichkeit dazu hätte er gehabt. Der Hof von Medina del Campo war nur einige wenige Meilen von Madrigal entfernt, und jeder Vorwand wäre tauglich gewesen. Schließlich war er Schirmherr und Gönner des Klosters. Sein Besuch hätte kein Befremden hervorgerufen. Er, den seine Eltern über

Weitere Kostenlose Bücher