Die Äbtissin
ihnen niemals in den Sinn gekommen, mich in ein Kloster zu stecken. Schon als kleines Mädchen von drei oder vier Jahren wurde ich einem entfernten Vetter versprochen, der in unserem Hause aufwuchs. Sein Name war Rodrigo. Wir wuchsen gemeinsam auf, ich vergötterte ihn und er mich. Alle sagten, dass wir ein wundervolles Paar seien und sehr glücklich miteinander werden würden.
Wir fanden das ebenfalls und brannten darauf, Mann und Frau zu werden, aber… das Leben verläuft nicht immer so, wie wir es uns erträumen. Unsere Hochzeit sollte in dem Jahr stattfinden, in dem wir beide siebzehn Jahre alt wurden, doch dann rüstete der verstorbene König Heinrich zu einem Feldzug gegen Granada und alle jungen Adligen im waffenfähigen Alter begleiteten ihn. Mein Vetter zog mit der Illusion eines jungen Ritters von dannen, der darauf hofft, ganz alleine eine große Schlacht zu gewinnen. Auch mein Bruder Luis machte sich auf den Weg. Die beiden gingen mit dem Segen meines Vaters, der sie, weil er schon betagt war und an Gicht litt, nicht begleiten konnte, wie es sein sehnlichster Wunsch gewesen wäre.«
Doña Elvira rief sich ein weiteres Mal den Tag in Erinnerung, an dem sie sehnsüchtig der Rückkehr ihres Verlobten entgegensah. Ein Bote hatte ihrem Vater mitgeteilt, dass der König und seine Mannen mit einem weiteren Sieg aus Granada heimkehrten und man sie noch am selben Tage in Toledo erwarte.
Es vergingen viele Stunden, bis in der Ferne die königlichen Banner auftauchten. Augenblicklich wimmelte es in den Straßen von lärmenden Menschen. Der Zug näherte sich der Stadtmauer und die ersten Soldaten marschierten durch die Puerta San Martín. Wie es so üblich war, führten sie die Standarten mit sich, die sie dem Feind entrissen hatten, und ließen sie im Wind flattern, während das aufgeregte Volk ihre Siegesrufe erwiderte. Hinter ihnen folgte in einigem Abstand König Heinrich IV. in seiner Rüstung und einem langen Umhang, der die Flanken seines Pferdes bedeckte. Er war ein großer, linkischer Mann, nicht der strahlende Ritter, der auf den Porträts zu sehen war, die eher der Schmeichelei der Maler als der Realität zu danken waren.
Aber wie er dort mit seinem schimmernden Harnisch, dem Umhang, dem rötlichen Bart, der die Pockennarben und ein ausgeprägtes Kinn verbarg, alleine und hoch zu Ross siegreich in die Stadt einzog, den Kopf nach rechts und links neigend, um die Hochrufe seiner Untertanen zu erwidern, war er das Abbild des Königtums selbst. Niemand dachte in diesem Moment an seinen Ruf als betrogener Ehemann, den ihm seine Gemahlin Isabella von Portugal mit Beltran de la Cueva und anderen Herren aus ihrem Umfeld angehängt hatte.
Nach ihm hielten die Granden des Reiches Einzug: Enríquez, Villena, Alba, Mendoza und viele andere. Sie alle waren tapfere Soldaten, vor allem aber hatten sie Geld und Macht. Ihr Auftreten stand dem des Königs in nichts nach, ja sie wirkten sogar überheblicher, so sicher waren sie sich ihrer Position und der Tatsache, dass der Monarch auf sie angewiesen war.
Dann folgten, mit Stricken um den Hals, in Viererreihen aneinander gekettet, die gefangenen Muselmanen. Es waren bedeutende Persönlichkeiten, wie man an ihrer Kleidung erkennen konnte, oder vielmehr dem, was davon übrig geblieben war. Dieser Teil des Zuges begeisterte die Bevölkerung am meisten, die sich stets bereitwillig an der Erniedrigung der Mächtigen ergötzte, mochten sie nun Christen oder Muslime sein. Die Leute bewarfen sie unter Gelächter und Schmähungen mit Schalen, Hundekot und dem einen oder anderen Stein.
Schließlich traf die Truppe ein, die trotz der Erschöpfung durch den langen Marsch und das Gewicht ihrer Rüstungen und Waffen einen kriegerischen Eindruck zu machen versuchte. Schmutzig und müde zogen die Soldaten die Füße nach, während sie die Hochrufe erwiderten. Sie hielten Ausschau nach vertrauten Gesichtern und warfen den Frauen, die von Baikonen und Terrassen die Parade beobachteten, derbe Scherzworte zu.
Als die Nachhut eintraf – Marketender, Pagen, Proviantmeister, Feldscher und Verwundete –, begannen sich die Zuschauer bereits angeregt schwatzend in den Straßen zu zerstreuen. Keine Spur von Rodrigo oder Luis.
»Wie du siehst, Tochter«, sagte Doña Elvira mit gebrochener Stimme, »erinnere ich mich auch nach so vielen Jahren noch immer an jede Einzelheit jenes Tages. Mein Bruder kehrte verwundet und in einem jämmerlichen Zustand zurück. Rodrigo war tot, nach Gottes
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