Die Äbtissin
Veränderungen in unsere Gemeinschaft und eine kleine Aufregung in unser Leben bringen wird.« María ließ ihren Blick langsam über die Tische schweifen. »Meine Entscheidung lautet, dass die Schwester Hauswirtschafterin während meiner Abwesenheit meinen Platz einnehmen wird.«
Sie blickte María die jüngere an, die zu ihrer Rechten saß und derart errötete, dass die Äbtissin sich beherrschen musste, um nicht zu lächeln.
»Ich bin überzeugt«, fuhr sie fort, »dass sie eine würdige Stellvertreterin sein wird. Ihr habt gehört, dass unsere gute Mutter Oberin mir empfiehlt, die Reise in Begleitung von einer oder zweien aus euren Reihen zu unternehmen. Meine Wahl ist auf Joaquina und Inés gefallen.«
Verblüffung zeichnete sich auf allen Gesichtern ab. María wusste, was sie dachten. Joaquina war eine untergeordnete Nonne ohne besondere Stärken, die sich nie durch übermäßige Intelligenz hervorgetan hatte.
Und Inés… schließlich war sie nur eine Novizin. Jede Einzelne von ihnen hatte mehr Rechte, eine bessere Familie, größere Kenntnisse, mehr Lebenserfahrung. Warum diese beiden und keine andere? María wusste genau, warum sie so entschieden hatte. Sie war sich der Loyalität der einen gewiss, und die andere würde ihr in den nördlichen Regionen sehr nützlich sein. So hielt sie sich nicht damit auf, weitere Erklärungen abzugeben, nach denen zu verlangen im Übrigen keine der Schwestern gewagt hätte.
In den darauf folgenden Tagen herrschte rege Geschäftigkeit im Kloster. Neben den Chorproben für die Weihnachtsmesse und der Vorbereitung der Armenspeisung war die Reise zu organisieren und die Route festzulegen, Proviant für den Weg zu beschaffen und, was das Wichtigste war, ein sicheres und bequemes Transportmittel ausfindig zu machen.
María entschied sich für einen kleinen, mit einer neuen Plane bedeckten Karren, der von einem jungen, kräftigen Ackergaul gezogen wurde. Er gehörte ihrem nächsten Nachbarn, Meister Antón Gómez de Villar, Besitzer der umliegenden Felder, mit dem sie stets gute Beziehungen unterhalten hatte. Meister Antón, ein gottesfürchtiger Mann, war María zu großem Dank verpflichtet, weil sie seiner Frau bei der Geburt der beiden jüngsten Kinder, Zwillingen, beigestanden hatte. Es hatte stark geschneit an diesem Tag im letzten Winter, unmöglich, die Hebamme zu holen, und so war er zum Kloster gekommen, um Hilfe zu holen. Begleitet von Petra, die sich mit Arzneien und Salben auskannte, sowie von Joaquina, die sich angeboten hatte, weil sie ähnliche Erfahrungen aus ihrem Elternhaus hatte, war sie zum Gut des Nachbarn geeilt. Es war ein Erlebnis gewesen, das sie niemals vergessen würde. Weder sie noch Petra kannten sich mit Geburten aus und so überließen sie alles Joaquina, die genau zu wissen schien, was in einem solchen Fall zu tun war.
»Los, Frau!«, ermunterte diese die Gebärende. »So schlimm ist es nicht! Du warst schon öfter in dieser Lage.«
»Ja, Schwester«, erwiderte die Frau stöhnend, »aber es war noch nie so schwer wie dieses Mal. Ich habe das Gefühl, als würde es mich zerreißen.«
»Blödsinn! Es ist wie immer. Die Frauen haben die Schmerzen schnell vergessen, wenn sie ihr Kind in den Armen halten.«
Die Bäuerin lächelte ihr zu, während sich ihr Körper unter einer weiteren Wehe krümmte.
»Woher wollt Ihr das wissen?«, fragte sie keuchend. »Seid Ihr schon einmal Mutter geworden?«
»Nein.« Joaquina lächelte ebenfalls. »Unser Herr hat mich vorher erwählt, aber meine Mutter hat nach mir noch sechs Kinder bekommen, und den letzten dreien habe ich mit auf die Welt geholfen. Ich weiß, dass du alle Schmerzen vergessen hast, sobald das Kleine geboren ist. Du musst stärker pressen!«
María war entsetzt über die Art und Weise, wie Joaquina die Frau behandelte, doch sie musste erkennen, dass diese keinesfalls beleidigt war. Vielmehr schien sie erleichtert zu sein, Joaquina in ihrer Nähe zu haben. Ein Schrei riss sie aus ihren Gedanken, und Petra zuckte neben ihr zusammen. Sie hörten Joaquinas Stimme, die, zwischen den Beinen der Bäuerin kniend und die Ärmel des Habits hochgekrempelt, das Kind mit den Händen zu packen versuchte.
»Ich hab’s, Gott sei gelobt und gepriesen! Da ist es! Streng dich an, Frau! Oder willst du das Kind drinnen lassen?«
Die anfängliche Angst wich einer tiefen Freude, als der Kopf des Kindes sichtbar wurde. Die Nonne umfasste ihn beherzt, aber vorsichtig, um die Fontanelle nicht zu schädigen,
Weitere Kostenlose Bücher