Die Äbtissin
Sonnenuntergang über den kastilischen Feldern, als sie auf der Straße aus Medina del Campo einen Reiter herannahen sah. Am Anfang war er nur ein kleiner Punkt in der Ferne, der sich allmählich der Mauer näherte. Sie hatte das Gefühl, dass er zum Kloster wollte, auch wenn sie nicht wusste, weshalb. Sie erwartete niemanden. Dennoch konnte sie den Blick nicht von der Staubwolke abwenden, die das Pferd aufwirbelte, während der Reiter durch die Puerta de Medina trabte. Für einen kurzen Moment verlor sie ihn aus den Augen, aber sie wusste, dass er im Schatten der Mauer auf der Straße in Richtung Ronda ritt. Kurz darauf erschien er wieder an der Puerta de Peñaranda und bog auf den Weg ein, der direkt nach Nuestra Señora de Gracia führte. Während sie sich fragte, wer der geheimnisvolle Reiter sein mochte und was ihn hierher führte, verließ sie den Turm und stieg die enge Treppe hinunter, von einer Aufregung gepackt, für die sie keine Erklärung hatte. Vielleicht handelte es sich um den Verwandten einer Schwester, der eine Botschaft von ihrer Familie brachte.
Hoffentlich sind es keine schlechten Nachrichten, sagte sie sich und beschleunigte ihre Schritte.
Sollte es sich um schlechte Neuigkeiten für eine der Schwestern handeln, so würde dies Anlass zu Sorgen und Problemen geben. Nur ein Dispens aus Toledo erlaubte es einer Ordensschwester, das Kloster zu verlassen, und für diese Strecke brauchte man mehrere Tage oder sogar Wochen, gerade im Winter. In den meisten Fällen kam der Dispens zu spät, natürlich zur Verzweiflung der Betroffenen, vor allem, wenn es sich um eine jüngere Mitschwester handelte. Sie erreichte den Eingang just in dem Augenblick, als Joaquina die Pforte hinter dem Besucher schloss, und sie war sehr erleichtert, als sie den Boten erkannte, der ihnen die Briefe aus Toledo zu bringen pflegte.
»Seid willkommen, Meister Hernando«, begrüßte sie ihn mit einem Lächeln. »Wie schön, Euch wieder bei uns zu sehen. Welche Neuigkeiten bringt Ihr diesmal?«
Der Bote machte eine kleine Verbeugung. Er kam gerne nach Madrigal. Die guten Nonnen ließen ihn niemals von dannen ziehen, bevor er nicht gegessen und sich ausgeruht hatte. Sie plauderten mit ihm und stellten ihm Fragen über Toledo, die Schwestern und seine Familie, der sie stets einen Korb voller Naschwerk schicken ließen.
»Es ist mir eine Freude, nach Nuestra Señora de Gracia zu kommen, Doña María. Ich bringe Euch einen Brief der Mutter Oberin. Sie hat mir aufgetragen, Euch zu sagen, dass sie Eure Antwort erwartet.«
Mit diesen Worten überreichte der Mann ihr einen großen versiegelten Umschlag, der mehrere Dokumente zu enthalten schien.
»Wenn das so ist, bitte ich Euch, der Schwester Pförtnerin zu folgen«, sagte sie ihrerseits. »Es ist bereits zu spät, um an eine Rückkehr nach Toledo zu denken, und ich muss das Schreiben, das Ihr mir gebracht habt, lesen und beantworten. Das Beste wird sein, wenn Ihr die Nacht hier verbringt, Kräfte sammelt und Euch morgen auf den Rückweg macht.«
Meister Hernando verbeugte sich erneut und folgte Joaquina, die ihm den Weg wies. Er war in der Tat sehr erschöpft, und das Alter begann sich bemerkbar zu machen. Wie fern waren die Tage, als er von Toledo nach Burgos reiten und noch am selben Tag zurückkehren konnte, frisch wie ein soeben geschnittener Salat!
Die Sonne war untergegangen, und am Horizont zeichnete sich eine feuerrote Linie ab, die mit dem Blau des Himmels kontrastierte, das zum Kloster hin immer dunkler wurde. María ging in ihr Studierzimmer, entzündete die Kerze und setzte sich; sie nahm den Umschlag und erbrach vorsichtig das Siegel. Sie hatte das Siegelwachs immer gemocht und erbrach es nur ungern, so als verschwände damit das Geheimnis, das sich in der Botschaft verbarg. In dem Umschlag befanden sich mehrere Schriftstücke, die sie auf den Tisch legte. Sie nahm einen mit eleganter, sicherer Hand geschriebenen Brief und begann zu lesen. Die neue Mutter Oberin lobte die sorgfältig ausgeführte Arbeit, sie sei eine kostbare Informationsquelle für den Orden, und ernannte María zur Generalinspektorin der Konvente und Klöster der Augustinerinnen in Kastilien. Sie las den letzten Absatz noch einmal und hätte beinahe einen Freudenschrei ausgestoßen. Die Ernennung – so hieß es in dem Brief weiter – berühre nicht ihre Rechte und Privilegien als Äbtissin des Klosters von Madrigal, ein Amt, das sie weiterhin ausüben solle, wenngleich es während ihrer
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