Die Äbtissin
belehrendem Ton den Unterschied zwischen einem Wehrturm und einer befestigten Stadt wie Medina del Campo, dem Zentrum des kastilischen Hofes, zu erklären versuchte.
Während der Reise war die Klausur ebenso aufgehoben wie das Schweigegebot, das außerhalb des Klosters aufrecht zu erhalten sie zudem weder für sich noch für ihre Begleiterinnen die Absicht hatte. Zum ersten Mal war sie frei von Regeln und Einschränkungen und sie gedachte, diese wohlverdiente Freiheit zu genießen.
Nachdem sie kurz angehalten hatten, um in Gesellschaft einiger Bauern das Angelus zu beten und mit ihnen etwas Brot und Käse zu teilen, den sie dabeihatten, setzten sie ihre Reise fort und sahen bald die Türme von Medina vor sich. Hoch oben auf dem Mauerturm der Burg, die den Hügel überragte, wehte das Banner von Kastilien und daneben dasjenige König Ferdinands, wie ihnen Antoñino erklärte. Der Junge wusste es genau, weil er schon öfter in der Stadt gewesen war, um mit seinem Vater auf dem jährlichen Markt der Mesta, dem größten des Landes, Vieh zu verkaufen. Das königliche Banner bedeutete, dass der König zur Zeit in Medina weilte.
Obwohl María sich geschworen hatte, niemals etwas für diesen Ehebrecher zu empfinden, der es nicht wert war, Vater genannt zu werden, konnte sie nicht verhindern, dass ihr Herz einen Satz machte und schneller schlug.
Wenn der König in Medina weilt … vielleicht …, dachte sie.
Sie wusste nicht, ob sie ihn sehen wollte oder nicht. Einerseits war ihre Neugierde groß, aber andererseits… Wie würde sie reagieren, wenn sie die Möglichkeit hätte, ihm nahe zu sein und das Wort an ihn zu richten? Würde sie ihm sagen, dass sie seine uneheliche Tochter war? Würde sie ihn nach ihrer Mutter fragen?
Sie versuchte, vorerst nicht darüber nachzudenken und wandte ihre Aufmerksamkeit den Bauern zu, an denen der Wagen vorbeifuhr. Ihre Gesichter waren gegerbt von der Sonne und der Arbeit, dem Pflügen, Säen, Ernten und Dreschen des Getreides, Haupteinkommensquelle der meisten. Sie arbeiteten hart, um ihre vielköpfigen Familien zu ernähren und in barer Münze oder in Naturalien die Pacht für das Land zu bezahlen.
»Ein wahrlich schweres Leben«, sagte sie laut.
»Habt Ihr etwas gesagt, Doña María?«
»Nein, Joaquina. Ich dachte gerade daran, wie schwer doch das Leben der Männer und Frauen auf dem Lande ist.«
Die dicke Ordensfrau schien sie nicht zu verstehen. María versuchte sich deutlicher auszudrücken.
»Ich dachte daran, wie hart die Arbeit des Bauern ist, der von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schuftet, um seine Familie zu ernähren und mit dem Rest die Truhen seines Herrn zu füllen.«
»Welches Herrn?«
»Irgendeines Herrn, Joaquina, des Königs, des Herzogs, des Bischofs, des Abtes… Die Bauern bearbeiten das Land der Herren oder sie pachten es von ihnen und müssen dann dafür bezahlen. Sie müssen auch für das Holz zahlen, das sie in den Wäldern sammeln, und für die Weiden ihrer Tiere und das Benutzen der Mühle. Das weißt du besser als ich.« – »So ist es immer schon gewesen.«
Aus Joaquinas Gesicht sprach Unverständnis. Nicht, weil sie nicht begriffen hätte, was María sagte, sondern weil die Äbtissin sich darüber wunderte, dass es so war.
»Herr ist Herr und Untertan ist Untertan. So ist es immer schon gewesen…«, wiederholte sie in ihrer einfachen, schlichten Logik. »Das Haus meines Vaters und ebenso das Land gehörten Don Beltrán de la Cueva. Ein bedeutender Mann bei Hofe, sehr bedeutend.«
Bei den letzten Worten senkte sie die Stimme, so als fürchtete sie, jemand könne hören, wie sie den Namen Beltrán de la Cuevas erwähnte, Graf von Ledesma, Großmeister des Jakobsordens, Herzog von Albuquerque, ehemals allmächtiger Günstling König Heinrichs IV. und, wie man sich erzählte, Liebhaber seiner Gemahlin, der Königin.
María erinnerte sich daran, wie Doña Elvira während ihrer Geschichtslektionen von den großen Familien Kastiliens gesprochen und ihr erzählt hatte, was sich vor und nach dem Tod König Heinrichs, des Halbbruders Doña Isabellas, ereignet hatte. Doña Elvira hatte de la Cueva persönlich gekannt, als sie noch im Hause ihres Vaters lebte. Er war ein schöner Jüngling, der augenblicklich die Aufmerksamkeit des Königs auf sich gezogen hatte. Dieser hatte ihn zum königlichen Pagen und später zum Majordomus des Palastes ernannt, seiner rechten Hand.
Doña Elvira hätte es gerne vermieden, von diesen Ereignissen zu berichten,
Weitere Kostenlose Bücher