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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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nach Flandern zurückkehrte, hatte Doña Isabella darauf bestanden, dass ihre Tochter wegen des Winters und ihrer erneuten Schwangerschaft in Medina del Campo blieb. Es war kein Geheimnis, dass es damals, einige Jahre vor Doña Isabellas Tod, eine furchtbare Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen gegeben hatte; sämtliche Bedienstete des Schlosses La Mota wussten davon und folglich das ganze Land. Die Infantin hatte die ganze Nacht barfuß und im Hemd am Burgtor zugebracht und wollte nicht eher weichen, bis man ihr erlaubte, ihrem Mann zu folgen. Die Königin, die damals bereits krank war, hatte schließlich nachgegeben, und an diesem Tag war sie noch ein wenig mehr gestorben. Die Herrschaft über ihr geliebtes Kastilien würde an die arme Johanna und ihren ehrgeizigen Mann Erzherzog Philipp, genannt der Schöne, fallen.
    Weshalb wurde er so genannt? War er wirklich schön gewesen?
    María hatte nie ein Bildnis des Prinzen gesehen und hatte keine Vorstellung von ihm. Sie kannte ein Porträt Königin Johannas aus der Zeit, als diese noch Infantin gewesen war. Es hatte ihr als Vorlage für die Illustration des Stundenbuches gedient, von der Doña Isabella so angetan gewesen war… bis sie erfuhr, dass die uneheliche Tochter ihres Mannes es angefertigt hatte.
    Als Kind war die Gefangene von Tordesillas von hübschem Gesicht und anmutiger Gestalt gewesen. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass sie die Geisteskrankheit ihrer Großmutter mütterlicherseits geerbt hatte, die durch die Flure und Säle des Palastes geirrt war, dessen Dächer María von ihrer Zelle aus auf der anderen Seite der Mauer sehen konnte. Selbst in ein abgelegenes Kloster drangen gelegentlich Gerüchte, Nachrichten und Klatsch vom Hofe. Es gab immer einen Bauern, der mehr wusste, oder einen Honigverkäufer, der in der Gegend herumkam, oder einen Ordensbruder, der im Kloster übernachtete und die neuesten Nachrichten aus der Welt dort draußen mitbrachte. Jeder wusste, dass Doña Johanna nach dem Tod ihres Mannes vor gut vier Jahren völlig den Verstand verloren hatte.
    Es hieß, der Tod Philipps sei durch ein Fieber verursacht worden, ausgelöst durch einen Krug eiskalten Wassers, welchen er nach einem Ballspiel an einem heißen Tag getrunken habe. Andere mutmaßten, sein plötzliches Ableben sei Kardinal Cisneros, der grauen Eminenz des Reiches, und folglich auch Don Ferdinand sehr gelegen gekommen. Die Königin hatte Philipp nämlich für den Fall, dass ihre Tochter nicht willens oder in der Lage sein sollte, die Regierungsgeschäfte selbst auszuüben, zum Thronfolger Kastiliens bestimmt.
    María dachte an ihren Vater, der sich als alter Mann am Ende seines Lebens seiner beiden Töchter erinnert hatte. Wenn er, wie man sich erzählte, in der Lage gewesen war, eine päpstliche Bulle zu fälschen, um sich mit der Königin vermählen zu können; wenn er fähig war, Verrat zu üben und seine Versprechen zu brechen; wenn er Tausende Untertanen von ihrem Grund und Boden und aus ihren Häusern vertrieb und sie des Landes verwies, in dem sie geboren waren, wenn er mit ihrer Mutter geschlafen und zugelassen hatte, dass man sie selbst lebenslang einschloss, ohne sie auch nur zu kennen, wieso sollte er sich dann nicht auch eines unbequemen, ehrgeizigen Schwiegersohnes entledigen?
    María erschrak selbst über ihre Gedanken. Es mochte sein, wie es wollte: Sie war Nonne, dazu erzogen, ihre Nächsten zu lieben und ihnen zu vergeben. Sie wollte keinen Hass empfinden, erst recht nicht, wenn dieser Hass ihr die Vision nahm, die sie brauchte, um weiterzuleben. Sie liebte ihren Vater nicht und achtete ihn nicht als Tochter, aber sie konnte es sich nicht erlauben, ihn zu hassen oder sich als Opfer seiner Ausschweifungen zu fühlen.
     
     
    Das Jahr neigte sich dem Ende zu und seit Tagen herrschte im Kloster rege Betriebsamkeit, um die Feiern anlässlich der Geburt des Herrn vorzubereiten. Fußböden, Fenster, Mobiliar und Statuen wollten auf Hochglanz gebracht werden. Auch in der Küche war einiges los. Die Köchin und ihre Gehilfinnen stellten unaufhörlich Marzipan und Mandeltörtchen her, die bei den Leuten im Umland sehr beliebt waren, die große Mengen für die Festtage kauften und gutes Geld ins Kloster brachten. Aber man entlohnte sie nicht nur mit Geld. So mancher tauschte das Naschwerk gegen Hühner, Gemüse oder Mehlsäcke ein, die das Kloster dringend benötigte. Der Klostergarten gab nicht viel her.
    Eines Abends betrachtete María den herrlichen

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