Die Äbtissin
Nacht hier verbringen. Morgen setzen wir unsere Reise nach Norden fort.«
»Habt Ihr eine Unterkunft für die Nacht?«, fragte der Mann ein wenig besorgt.
»Der Herr wird es richten, mein Sohn.«
Tatsächlich hatte sie noch nicht darüber nachgedacht.
Sie wusste, dass es mehrere Nonnenklöster in Medina gab, wenn auch keine Augustinerinnen, und in einem von ihnen würden sie Unterkunft finden. Sie erinnerte sich an die Briefe, die sie bei sich trug, und nutzte die Gelegenheit, um Auskünfte einzuholen.
»Wo können wir Don Bernardino Fernández de Velasco finden?«
Der Soldat war sichtlich erstaunt.
»Den Kondestabel von Kastilien?«, fragte er.
»Ja, ihn oder den obersten Richter. Wir haben Empfehlungsschreiben für beide Herren.«
Der Mann musterte sie aufmerksamer. In welcher Beziehung konnten drei Nonnen und ein junger Bursche zu diesen hohen Persönlichkeiten stehen? Das Staunen wich einem respektvollen Blick.
»Mit Eurer Erlaubnis werde ich Euch persönlich begleiten.« Er neigte sich zu einer tiefen Verbeugung. »Ihr seid fremd an diesem Ort und könntet Opfer eines Betrugs oder eines Raubes werden, denn hier gehen viele diesem Handwerk nach.«
»Nun denn« – María lächelte offen – »ich glaube nicht, dass irgendjemand drei arme Ordensfrauen ausrauben wird, die nichts auf dieser Welt besitzen, aber wir danken Euch herzlich für Euer Anerbieten und nehmen mit Freuden Eure Begleitung an, Señor…«
»Hauptmann Gonzalo Lope de Salazar, zu Euren Diensten.«
»Ich bin Doña María, Äbtissin des Klosters Nuestra Señora de Gracia in Madrigal«, stellte sie sich vor. »Dies sind meine Mitschwestern Joaquina und Inés. Der Knabe heißt Antoñino und begleitet uns auf unserer Reise.«
Der Hauptmann übergab einem Sergeanten das Kommando über die Kompanie, sprang mit einem Satz neben Antoñino auf den Kutschbock des Karrens und übernahm die Zügel des Pferdes. Mit der Geschicklichkeit des Ortskundigen brachte er sie durch enge Gässchen, Verkaufsstände, Schafherden und eine endlose Menschenmasse zum höher gelegenen Teil der Stadt, wo der Weg hinauf zum Schloss La Mota begann. María konnte die Augen nicht von dem königlichen Banner wenden, das stolz und herausfordernd hoch oben auf dem Turm flatterte.
»Seine Hoheit König Ferdinand hält sich im Schloss auf?«
Die Wörter kamen ihr über die Lippen, obwohl sie sich dagegen sträubte.
»So ist es«, antwortete der Soldat. »Don Ferdinand beehrt uns augenblicklich mit seiner Anwesenheit. Um die Wahrheit zu sagen, scheint er in letzter Zeit kein Verlangen zu haben, in seine Heimat Aragón zurückzukehren. Nach Doña Isabellas Tod kehrte er zunächst in sein Königreich zurück. Die Geschicke Kastiliens überließ er unserer Herrin Doña Johanna und ihrem Mann Don Philipp, doch der Tod des Prinzgemahls und ihr… nun ja, bedenklicher Zustand haben seine erneute Anwesenheit bei uns notwendig werden lassen. Gott und die allerheiligste Jungfrau mögen Königin Johanna und König Ferdinand beschützen!«
Seine letzten Worte waren nicht Ausdruck seiner königstreuen Haltung, sondern die Parole. Sie standen vor der Maueröffnung, wo eine große Anzahl Soldaten Wache hielt. Der Hauptmann sprang vom Wagen und wandte sich an den wachhabenden Soldaten, der nach einer respektvollen Verbeugung Befehl gab, sie passieren zu lassen. Don Gonzalo ergriff den Halfterstrick des Pferdes und führte es über die schmale Brücke, die den Graben überspannte, der die Einnahme des Schlosses im Falle eines Angriffs äußerst schwierig machen würde. Sie fuhren unter dem Fallgatter hindurch und gelangten in eine dunkle Ecke des Hofraums, wo er das Tier an der Tränke festband, an der bereits weitere Pferde ihren Durst stillten. Dann bedeutete er den drei Frauen, ihm zu folgen, während Antoñino beim Wagen zurückblieb. Durch eine Seitentür betraten sie einen großen Saal, in dem zahlreiche Personen aller Stände, Edelleute, vornehme Damen, Händler und Bauern, in Grüppchen beieinander standen und sich angeregt unterhielten.
»Wartet hier auf mich. Ich werde sehen, ob ich den Sekretär des Kondestabels antreffe. Wollt Ihr mir die Briefe aushändigen, die Ihr bei Euch tragt?«, bat er, an María gewandt. »Ich muss sie vorweisen, wenn Ihr empfangen werden wollt.«
María nahm die Schreiben aus dem großen Umschlag, den sie unter dem Mantel trug, und überreichte sie ihm. Sie sah Salazar in der Menschenmenge verschwinden und beobachtete geistesabwesend das Kommen
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