Die Äbtissin
und Gehen all dieser Leute.
Der Saal war nur spärlich ausgeschmückt, kaum etwas wies darauf hin, dass sie sich in einem königlichen Schloss befanden. Lange Bänke entlang der kahlen Wände dienten als Sitzgelegenheiten. In der großen, schwarzen Öffnung des Kamins brannten ein paar gewaltige Holzscheite. Sie traten näher an das Feuer heran und rieben sich die Hände, um sie aufzuwärmen. An einer der Wände stand ein Waschtisch mit einer Schüssel sowie einem Tuch und einer Bürste. Sie nutzten die Gelegenheit, um sich Gesicht und Hände zu waschen und ihre Kleider auszubürsten, die durch den Staub auf den Wegen eher grau als schwarz waren. Dann warteten sie.
Es dauerte nicht lange, bis sie Don Gonzalo wieder auf sich zukommen sahen.
»Ich bedaure, Euch mitteilen zu müssen«, sagte er, als er bei ihnen angelangt war, »dass sich der Kondestabel zur Zeit nicht in Medina befindet. Wie mir sein Sekretär mitteilte, ist er am heutigen Morgen nach Burgos aufgebrochen und wird nicht vor nächsten Monat zurückkehren. Aber der oberste Richter wird Euch in Kürze empfangen.«
»Hauptmann, ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeit, die wir Euch verursacht haben.«
»Es war keine Unannehmlichkeit, werte Dame. Es war vielmehr sehr angenehm, Euch hierher zu begleiten« – er zwinkerte verschwörerisch – »und für eine Weile der eintönigen Torwache zu entkommen. Ich verlasse Euch nun, aber falls Ihr Hilfe benötigt, zögert nicht, mich zu rufen.«
»Eine Sache noch, Hauptmann.«
»Sprecht…«
»Weshalb sind diese vielen Menschen hier?«, fragte María neugierig. »Gibt es einen besonderen Grund dafür oder warten sie wie wir darauf, von dem obersten Richter oder einem anderen bedeutenden Mann empfangen zu werden?«
»So ist es, Doña María. Einige warten auf eine Audienz beim obersten Richter; andere warten darauf, vom Kardinal empfangen zu werden, dem Herzog von Alba oder einem anderen der hohen Herren, die sich am Hofe aufhalten.«
»Und der König«, fragte sie zögernd, »empfängt er auch?«
Sie hatte das Gefühl, dass aller Augen im Saal sich auf sie richteten, alle Finger auf sie wiesen und alle Münder flüsterten: Das ist María Esperanza, eine uneheliche Tochter des Königs. Aber es war nur ihrer Einbildung entsprungen:
Niemand achtete auf die drei Nonnen in den staubigen Habiten.
»Oh, nein!«, rief Salazar. »Ihre Hoheit empfängt nicht. Wer ein Anliegen hat, muss dieses einem Boten vortragen, der es wiederum dem Schreiber eines der Sekretäre mitteilt. Dieser vermerkt das Anliegen in einem Buch, das er seinem Herrn vorlegt. Wenn der Bittsteller viel Glück hat, gibt es der Sekretär an den Kardinal oder einen anderen der königlichen Ratgeber weiter. Ist das Anliegen dringlich oder besonders bemerkenswert, wird sein Fall in einiger Zeit verhandelt, falls nicht, kann es Monate dauern, bis man von einem Sekretär empfangen wird.«
»Wir können nicht so lange warten!«, rief María beunruhigt aus. »Wir sollten uns besser nach einer Unterkunft umsehen, bevor die Nacht anbricht.«
Don Gonzalo lachte jovial.
»Seid unbesorgt, Frau Äbtissin. In Eurem Fall steht nichts zu befürchten«, beruhigte er sie. »Die Briefe, die Ihr mit Euch führt, scheinen sehr wichtig zu sein. Ich habe mit dem obersten Richter persönlich gesprochen. Er wird Euch vorlassen, sobald er die Angelegenheit erledigt hat, mit der er soeben befasst ist.«
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als die Stimme eines Pagen zu vernehmen war, der mit einer kleinen Schelle durch den Saal ging und ihren Namen ausrief.
»Doña María Esperanza vom Orden der Augustinerinnen!«
Für einen kurzen Moment verstummten alle, um aufmerksam dem Namen des Glücklichen zu lauschen, der eine Audienz erhielt. Als sie feststellten, dass der Aufruf keinem von ihnen galt, nahmen sie ihre Gespräche wieder auf, und María folgte dem Pagen durch eine der Türen des Saales.
Der Raum, in den sie geführt wurde, war klein, aber elegant und wohnlich. Durch ein Guckloch konnte man den Saal beobachten, den sie soeben verlassen hatte, ohne dabei gesehen zu werden. Der obere Bereich der Wände war vollständig mit einem geschnitzten, blau und golden bemalten Holzfries ausgeschmückt. Die beiden Fenster des Raumes waren aus Bleiglas und das Parkett glänzte spiegelblank. Es gab nicht viele Möbel, einen Schrank für Dokumente, eine Anrichte mit zwei Bronzeleuchtern, einen schweren Tisch voller Papiere und einige Stühle mit einer Rückenlehne aus
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