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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toti Lezea
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nicht, ihn nach ihrer Mutter zu fragen.
    Ende Januar des Jahres 1516 überbrachte ihnen ein Mönch des Schwesterordens der Augustiner die Nachricht. Seine Katholische Majestät König Ferdinand war gestorben. Tagelang war das traurige Läuten der Totenglocken in Madrigal, in ganz Kastilien und Aragón zu vernehmen. Etwas in ihr zerbrach, doch keine einzige Träne des Schmerzes benetzte ihre Augen.
    »Wann ist es geschehen?«, fragte sie den Mönch, der sich hungrig über eine Schale gebratener Brotkrumen hermachte.
    »Der König scheint schon seit geraumer Zeit krank gewesen zu sein«, antwortete der Mann mit vollem Mund. »Sein Leib war aufgedunsen, sein Atem ging schwer, er litt an Übelkeit und Erbrechen… Er wollte den Zug der Singdrosseln verfolgen und im selben Herbst nach Guadalupe pilgern, weil er sich dort Linderung für seine Leiden erhoffte. Nach einigen Tagen verschlechterte sich sein Zustand und er musste seine Reise in einem Ort in der Extremadura unterbrechen. Eine schlechte Wahl, bei Gott!«
    »Eine schlechte Wahl? Weshalb?«, fragte sie, als sie diesen wunderlichen Ausruf hörte.
    »Weil, seht…« Der Mönch aß zwei Löffel Brot, bevor er fortfuhr. »Ein Wahrsager offenbarte Don Ferdinand, dass ihm in Madrigal ein Unglück widerfahren werde.«
    Trotz des ernsten Moments musste María lachen, auch auf die Gefahr hin, in den Augen des Mönchs albern zu erscheinen.
    »Aber guter Mann, wie könnt Ihr so etwas sagen? Glaubt Ihr den trügerischen Worten eines Scharlatans? Und außerdem, was hat Madrigal mit dem Tod des Königs zu tun? Er ist noch nie in dieser Stadt gewesen, seit ich hier lebe, und ich kann Euch versichern, dass dies schon viele Jahre sind.«
    Der Mönch blickte von der leeren Schüssel auf, die María rasch wieder füllte, und sah ihr in die Augen. »Scharlatan oder nicht, der Wahrsager sagte ein Unglück in Madrigal voraus, und der König starb in einem Ort namens Madrigalejo. Es mag reiner Zufall sein, aber… ein sehr großer Zufall in meinen Augen.« Mit diesen Worten wandte sich der Mönch wieder der Schüssel und ihrem Inhalt zu.
    María versuchte diese neue Information in ihrem Kopf zu ordnen. Womöglich hatte der Mönch Recht. Vielleicht hatte ihr Vater sie wegen der Weissagung nicht besucht. Konnte ein so mächtiger König abergläubisch sein? Er, der allem getrotzt hatte, was sich ihm in den Weg stellte, sollte die Worte eines Narren fürchten? Allerdings fürchtete sich jeder davor, die eigene Zukunft zu erfahren. Selbst wenn man nicht daran glaubte, blieb immer ein Zweifel zurück.
    Ein König blieb immer noch ein Mensch, so hoch sein Thron auch sein mochte.
    »Und wo liegt dieses Madrigalejo?«
    »In der Extremadura«, antwortete der Mönch, der bereits die zweite Schüssel gebratenes Brot aufgegessen hatte. »Einige Tagesreisen von hier. Es ist ein elendes Nest, das nur wenige kennen.«
    Viel mehr war nicht aus ihm herauszubringen, während er unter ihren staunenden Blicken eine dritte Schüssel Brot verzehrte.
    Im Kloster wie auch im übrigen Land wurden mehrere Dutzend Messen für das Seelenheil des Königs und seine ewige Ruhe gelesen. Jedes Mal, wenn der Priester den Namen ihres Vaters erwähnte, krampfte sich María das Herz zusammen. Sie hätte gerne echte Trauer um den Mann empfunden, der sie gezeugt hatte, doch wer keine Liebe bekommen hatte, konnte keine Liebe empfinden.
    Erneut begann ihr eine schon vergessene Idee durch den Kopf zu gehen. Vor kurzem hatte ihr Don Alvaro Fernández, der liebenswürdige Edelmann aus Medina, einen Besuch abgestattet. Er hatte nichts Neues herausfinden können, aber er hatte Erkundigungen über jenen Martín Núñez eingezogen. Die einzige Person, die ihr vielleicht etwas über Toda de Larrea sagen konnte, war noch am Leben und befand sich bei guter Gesundheit in Trujillo. Weshalb nicht dorthin reisen und die Sache endlich zu einem Ende bringen? Mit dem Tod Don Ferdinands wurde erneut der Wunsch in ihr wach, dem Rätsel weiter nachzugehen. Wenn der Mann starb, würde es niemanden mehr geben, der ihr Auskunft geben konnte. Wenn überhaupt eine Möglichkeit bestand, mehr in Erfahrung zu bringen, dann war dies der Moment und kein anderer.
    Es war nicht leicht, einen Vorwand zu finden. Es gab keinen Anlass und keine Rechtfertigung für eine Reise in die Extremadura. Einige Wochen nach dem Besuch Don Alvaros traf ein Schiffskapitän im Kloster ein, der Bruder einer Novizin, der soeben von einer äußerst gefahrvollen Fahrt aus

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