Die Äbtissin
sich nach Trujillo in der Extremadura zurück. Dort wird er immer noch leben, falls er nicht bereits gestorben ist oder sich woanders niedergelassen hat. Möglich wäre es. Das ist für den Moment alles, was ich in Erfahrung bringen konnte. Ich werde mich weiterhin umhören und alles in meiner Macht Stehende tun, um weitere Antworten auf Eure Fragen zu finden.
Es freut mich sehr, dass unsere kleine Inés das Glück gefunden hat, nach dem sie sich so sehr sehnte, und ich hoffe, sie bei meiner nächsten Reise an die Biskaya besuchen zu können. Unser Herr Jesus Christus und seine heilige Mutter mögen Euch begleiten und beschützen.
Es dauerte eine Weile, bis María wieder einfiel, wo sie den Namen Martín Núñez schon einmal gehört hatte. Sie forschte in ihrer Erinnerung und fürchtete schon, dass die Hoffnung sie trog und sie den Namen verwechselte, doch schließlich fiel es ihr wieder ein. Es war der Name, den der Bandit erwähnt hatte, welcher sie auf dem Weg nach Orduña überfallen hatte. Sie lief rasch zu der Truhe, in der sie ihre Kleider aufbewahrte, und fand tief unten in einer Tasche den Ring, den ihr der Mann kurz vor seinem Tod anvertraut hatte. Er befand sich noch an demselben Ort, an dem sie ihn damals vergessen hatte. Es war ein dicker Goldring mit dem Wappen von Kastilien aus buntem Email. Er trug keine Gravur.
In welcher Beziehung konnten die beiden Männer zueinander gestanden haben? Weshalb hatte der Sterbende sie gebeten, Núñez ausfindig zu machen und ihm zu sagen, dass er sein Versprechen gehalten habe? Welches Versprechen? Es gab keine Antwort auf all diese Fragen, und vielleicht würde es sie niemals geben. Außerdem gab es keinen Anlass, das Kloster erneut zu verlassen, vor allem, weil sie gar nicht genau wusste, wohin sie sich wenden sollte. Alles war schlimmer als zuvor, denn nun hatte sie einen Namen, und es bestand die – wenn auch unwahrscheinliche – Möglichkeit, dass dieser Núñez etwas über den Aufenthaltsort ihrer Mutter wusste.
Madrigal, Sommer 1516
Sechs lange Jahre waren vergangen, ohne dass ein außergewöhnliches Ereignis die Stille ihrer Abgeschiedenheit gestört hätte. Marías Freuden und Sorgen galten einzig dem Kloster. Sie hatte den rechten Flügel erweitern lassen, denn es begann ein wenig an Platz zu mangeln, weil die Zahl der Nonnen und Novizinnen stetig zunahm.
Manchmal vergaß sie ihre Mutter. Dann wieder war es ihr ein solches Bedürfnis, etwas über sie zu erfahren, dass der Schmerz ihr die Luft zum Atmen nahm. Es fehlte noch ein Glied in der Kette, ein Bruchstück des Rätsels, und sie wusste, dass sie nie ihren Frieden finden würde, bis sie herausgefunden hatte, was aus Toda de Larrea geworden war, jenem jungen Mädchen, das von einem König entehrt und auf Befehl einer Königin entführt worden war. Die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte und dafür so grausam von den Ihren getrennt worden war.
Ihre Schwester Johanna hielt sie über die Ereignisse bei Hof auf dem Laufenden. Durch sie erfuhr María, dass Don Ferdinand unaufhaltsam an seinen Leiden und Gebrechen zugrunde ging. Seine Ratgeber versuchten vergeblich, ihn davon zu überzeugen, sich von seinen zahlreichen Pflichten zurückzuziehen. In letzter Zeit war er rastlos durch Kastilien gereist, das früher einmal Zeuge seiner glanzvollsten Zeit gewesen war, auch wenn man ihn nie ganz akzeptiert hatte. Die Anhänger seines Enkels Karl intrigierten gegen ihn, seine engsten Freunde und Verbündeten waren tot und niemand gab mehr viel auf sein Wort. »Ein alter Hund beißt nicht mehr«, besagte ein Sprichwort. Er lag im ständigen Streit mit dem Kronrat wegen jener Klauseln seines Testaments, die seinen Enkel Ferdinand endgültig zugunsten seines Bruders Karl von der Thronfolge ausschlossen, und sogar wegen der Höhe der Rente, die er seiner Witwe hinterlassen wollte. Ein trauriges Ende für einen so großen Monarchen, dachte María.
Ferdinand war nie nach Madrigal gekommen, noch hatte er den Wunsch geäußert, die beiden Marías sehen zu wollen. Nur einmal, ein einziges Mal in seinem Leben, hatte er einen lakonischen Brief an seine »innig geliebten Töchter« gesandt, begleitet von einem wunderschönen Gemälde unbekannter Herkunft, das die vor den Fluten errettete María Magdalena zeigte. María antwortete mit einem kurzen Schreiben, in dem sie sich für das Geschenk bedankte. Sie hatte nicht den Mut, ihm zu sagen, was ihr auf dem Herzen lastete, und erst recht wagte sie
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