Die Äbtissin
Mann mit der Narbe, der sie während so vieler Jahre in ihren Albträumen begleitet hatte.
»All diese Waffen«, fuhr Núñez fort, ohne ihre Antwort abzuwarten, »wurden in ehrlichem Kampf erworben. Sie gehörten Feinden, die übel zerschlagen zurückblieben oder zu Boden gingen, um nie wieder aufzustehen. Noch heute vermag ich trotz meiner Jahre – zweiundsiebzig, um genau zu sein – jedem, der sich mir entgegenstellt, die Kehle durchzuschneiden.«
María konnte sich nicht rühren. Ihre Gliedmaßen gehorchten ihr nicht und sie hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Nach so vielen Jahren stand sie dem Handlanger Doña Isabellas gegenüber. Zum ersten Mal in ihrem Leben bedauerte sie es, eine Frau zu sein. Wäre sie ein Mann gewesen und hätte sie den Umgang mit Waffen beherrscht, sie hätte eines der Schwerter ergriffen, die dort an der Wand hingen, und es ihm mitten ins Herz gebohrt.
»Mein Diener hat mir mitgeteilt, dass Ihr mich zu sehen wünscht«, wechselte der Mann zu seinem Bedauern das Thema. »Darf man erfahren, worum es geht, Doña…«
»… Doña María Esperanza, Äbtissin von Nuestra Señora de Gracia in Madrigal.«
»Nun, Doña María Esperanza, was führt Euch von so weit her in mein Haus?«
»Der Auftrag eines Mannes, der mich auf seinem Totenlager bat, Euch aufzusuchen und Euch diesen Ring zu geben«, antwortete sie und überreichte ihm den Ring.
Núñez nahm das Schmuckstück und untersuchte es eingehend. Er schien es nicht wieder zu erkennen und runzelte die Stirn, während er sich zu erinnern versuchte. Nach einer Weile schnitt er eine Grimasse und entblößte seine alten, gelben Zähne.
»Wie ist das möglich?« Er streifte den Ring über den kleinen Finger seiner linken Hand. »Diesen Ring schenkte ich Pedro de Lara, es mögen gut und gerne dreißig Jahre her sein. Wie ist er in Eure Hände gelangt?«
»Wie ich Euch bereits sagte«, antwortete María mit einer Ruhe, die zu empfinden sie weit entfernt war. Es ekelte sie, dort zu stehen und mit einem Verbrecher zu sprechen. »Eben jener Pedro de Lara übergab ihn mir kurz vor seinem Tod und bat mich, Euch zu sagen, dass er sein Versprechen gehalten habe und Euch in der Hölle erwarte.«
Núñez brach in ein derart schallendes Gelächter aus, dass María glaubte, er werde einen Krampf bekommen.
»Dieser Hurenkerl!«, rief der Mann immer noch lachend aus und klopfte sich auf die Schenkel. »Das passt zu ihm, mich zur Hölle zu wünschen, während er vor die Hunde geht! Er war schon immer ein Großmaul. Und wie kam es, dass er Euren Weg kreuzte?«, fragte er, nun wieder ruhiger. »Mir scheint nicht, dass Ihr an denselben Orten verkehrt.«
»In der Tat, nein. Es war vor über sechs Jahren. Euer Freund hat uns unterwegs überfallen, um uns auszurauben. Da wir nichts von Wert besaßen, wollte er sich… er wollte sich auf andere Weise entschädigen.«
Erneut hallte das Lachen des Mannes im Saal wider.
»Aus dem großen Fahrensmann ist also ein gemeiner Strauchdieb und Vergewaltiger von Nonnen geworden? Ich hab’s ihm vorhergesagt, dass er so enden wird, wir hätten uns beinahe geprügelt. Und wie ist er gestorben?«, fragte er neugierig und sah María aufmerksamer an. »Doch nicht etwa durch Eure Hand?«
»Natürlich nicht«, entgegnete sie empört. »Mit uns reiste ein Soldat des Königs. Die beiden kämpften und Euer Freund war der Unterlegene. Wir begleiteten ihn in seinen letzten Augenblicken und versuchten ihm Trost zu spenden.«
Núñez ging zu den Fenstern, die noch geschlossen waren, und stieß die Läden auf. Durch die Gitterstäbe konnte man das Kommen und Gehen der Leute im Haus beobachten, die ihren Beschäftigungen nachgingen. Der Mann wandte sich wieder María zu.
»Darf ich Euch ein Glas Wein aus unserer Kelter anbieten?«, fragte er unvermittelt. »Ich versichere Euch, dass er von hervorragender Qualität ist. Ein großer Teil unserer Produktion findet sich auf den Tischen des Adels hier und im Ausland wieder.«
»Nein, danke.« Nichts in der Welt würde sie dazu bringen können, ein Glas Wein mit ihm zu teilen. »Ein wenig kaltes Wasser wird genügen.«
Núñez ging zur Tür und öffnete sie.
»Tomasa! Tomasa!«, schrie er aus voller Kehle. »Du verfluchtes Weibsstück! Wo steckst du?«
Kurz darauf betrat eine schwarz gekleidete Frau mit einem trockenen, gelblichen Gesicht den Saal. Sie war ungefähr in Marías Alter und sah Núñez ähnlich, doch ihre Augen waren traurig und unterwürfig wie die
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