Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
geschlossene Psychiatrie eingewiesen. »Das Schlimmste, was ich mir hatte vorstellen können«, nennt Gustl Mollath dieses Urteil. Jedes andere hätte er lieber entgegengenommen. Aber Freispruch wegen Schuldunfähigkeit? Wegsperren wegen gemeingefährlichen Wahns? »Entsetzlich, der schwerste denkbare Schlag«, sagt Mollath.
Wer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, weiß, wann er spätestens entlassen wird. Das Urteil setzt eben eine Strafdauer fest. Wer aber als schuldunfähig, weil krank in die geschlossene Psychiatrie gesperrt wird, hat keine Ahnung, ob und wann er diese wieder verlassen darf. Gerade deshalb kommt Kontakten mit Psychiatern für einen wie Mollath eine existenzielle Bedeutung zu. Letztlich geht es in so einem Gespräch mit dem Gutachter um die Frage: Freiheit oder Verwahrung? Wer hätte vor dem Verlauf eines solchen Gesprächs keine Furcht? Mollath hat Angst davor, sogar große. Und sein Vertrauen in die Zunft der Seelenheilkunde ist spätestens seit einer fünfwöchigen Zwangseinweisung ins Bezirksklinikum Bayreuth 2005, lange vor dem eigentlichen Landgerichtsurteil also, bis in die Grundfesten erschüttert. Zumal nachdem Mollath noch im Prozess am Landgericht Nürnberg-Fürth im Jahr 2006 erleben musste, welche Nichtigkeiten aus dem Stationsalltag und seinen Vorwürfen zum Thema Schwarzgeld zusammengerührt wurden, um ihm einen Wahn zu attestieren.
Wenige Tage nach seinem Besuch im September 2007 wird Hans Simmerl die Ausgangssituation seines Gesprächs mit Gustl Mollath in der Hochsicherheitsklinik in Straubing sehr genau beschreiben. Und zwar in dem Gutachten, das er für das Vormundschaftsgericht erstellt. In der Kette von psychiatrischen Sachverständigen, die sich seit 2003, seit vier Jahren also, über den Geisteszustand Mollaths auslassen, ist Hans Simmerl der erste, der ihn persönlich untersucht. Und es wird weitere drei Jahre dauern, bis ein anderer Psychiater seinem Beispiel folgen wird. Simmerl waren der eigene Augenschein, seine Eindrücke und seine selbst gewonnenen Informationen über den Patienten wichtig. Er wollte ihn persönlich untersuchen, einen eigenen Befund über diesen Mollath und dessen Krankheitsbild erarbeiten, und nicht nur Akten lesen, auswerten und dann ein weitreichendes Sachverständigenurteil aus der Ferne fällen. Allein das macht Hans Simmerl zu einer der wichtigsten Figuren überhaupt im Fall des Gustl Mollath.
Weil Mollath in kein Untersuchungszimmer kommen will, besucht ihn der Arzt kurzerhand auf der Station. Ein Wachmann begleitet ihn. Mollath ist gerade in einem Aufenthaltsraum. Als Simmerl eintritt, läuft er ihm in die Arme. Der Arzt stellt sich vor und sagt, dass er ihn gerne persönlich für das Gutachten sprechen möchte. Gegenüber dem Gutachter entpuppt sich Mollath als keineswegs so störrisch wie angekündigt. Er willigt in das Untersuchungsgespräch ein, problemlos sogar.
Simmerl und Mollath wechseln vom Aufenthaltsraum in ein anderes Zimmer, in dem sie sich ungestört unterhalten können. Gustl Mollath bringt einen dicken Aktenordner voller Gerichtsunterlagen in eigener Sache mit. Dann legt er los. Das Gespräch wird fast drei Stunden dauern, denn Mollath fasst Vertrauen in diesen Gutachter, der ihm offenkundig nicht das Gefühl vermittelt, ihm mit einer durch Aktenlektüre bereits betonierten Meinung entgegenzutreten. Da will einer seine Geschichte, seine Sicht auf die Dinge ausführlich und detailliert erfahren. Ein Wunder ist das nicht: Hans Simmerl ist der erste Offizielle in der Causa Mollath, der diesem mehrere Stunden am Stück zuhört. Der erste nach vier Jahren. Nicht nur Psychiater, auch Richter und Staatsanwälte hatten Mollath reihenweise abblitzen lassen.
Man muss auch Leuten in der Psychiatrie zuhören, wird Simmerl später sagen. Er wird beklagen, dass das nicht alle in seinem Metier so sehen. Da gebe es auch Psychiater, sehr prominente Psychiater sogar, die über Menschen, die sie niemals gesehen haben, extrem folgenreiche Gutachten schreiben. Unglaublich. Aber wahr.
Was der psychiatrische Sachverständige Hans Simmerl im September 2007 in Straubing zu hören bekommt, muss für ihn wie eine ziemlich krude Verschwörungstheorie klingen. Nach einer Geschichte, wie sie in Deutschland nicht passieren kann, nicht in diesem demokratischen Rechtsstaat. So sollte man zumindest meinen. Simmerl schreibt sie trotzdem auf. Um seine Haltung erläutern zu können, müsse er weit ausholen, beginnt Mollath. Simmerl hat sich gerade zu
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