draußen orientieren müssen. Wer weiß, wer ich dann bin.
»Die schönsten Träume von Freiheit werden im Kerker geträumt.« Schiller, Briefe über Don Carlos.
Stimmt nicht. Freiheit ist ein Wort ohne Sinn. Es foltert den Verstand.
//Haftbuch, 15. November
Hilfe! Babsi, die Essensausträgerin, hat mir einen Brief von Yvonne zugesteckt. Und ich kann nichts tun, sie nicht einmal trösten.
Sie schreibt, die beiden, mit denen sie im Langstrafenbereich auf der Hütte sitzt, haben sie bei der Anstaltsleitung denunziert. Sie würde ihre Drogengeschäfte am Telefon abwickeln. Yvonne und Drogen! Absurd. Man hat ihr die Trennscheibenaufhebung bei Besuchen gestrichen. Daraufhin hat Yvonne die beiden Zellengenossinnen zur Rede gestellt. Wie sie dazu kämen, so was zu behaupten? Die sind wieder zur Anstaltsleitung gegangen, und jetzt heißt es, Yvonne würde Zeugen beeinflussen. Sie ist zu uns ins Haus 5 verlegt worden, nach unten in den Kurzstrafenbereich.
Hier kann sie nicht mehr arbeiten gehen, verdient kein Geld für die Kirmes. Der Computerkurs, den sie begonnen hat, ist gestrichen. Man kann oder will sie nicht rüberschließen ins andere Haus. Außerdem hat sie Angst, dass man ihr was tut. Eine ist ihr schon an die Gurgel gegangen. Sie hat die Verletzungen vom Anstaltsarzt dokumentieren lassen und Anzeige bei der Polizei gestellt. Jetzt möchte sie in eine andere JVA verlegt werden. Nach Frankfurt.
Panik! Was mache ich, wenn Yvonne weg ist? Ich komme rüber, und sie ist nicht mehr da? Dafür aber diese Intrigantinnen. Ich bin auch anders. Mich werden sie auch mobben.\\
19. November
Ich hatte wieder einen Verzweiflungsschub. Ein paar Tage sind weg. Blackout. Ich weiß nicht, was ich gemacht habe. Gestern dachte ich dann: Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit. Hegel, glaube ich. Mein Gedächtnis zerbröselt.
20. November, Buß- und Bettag
Wenn du dich nicht einlässt auf die Spielregeln und nicht schaust, wie du dabei auch mal gewinnen kannst, dann gehst du kaputt. Verlierst die innere Freiheit. Wie Manuela. Spielregeln kannst nie du selbst bestimmen. Wenn du sie nicht akzeptierst, gehst du als Individuum unter. Das ist paradox.
Samstag, 23. November
//Die Anstalt hat Yvonne einen Neuanfang versprochen. Kein Witz. Als ob sie irgendetwas angestellt hätte. Es hat ein Gespräch gegeben, schreibt sie mir. Die Vorwürfe sind ausgeräumt. Sowieso hat die Staatsanwaltschaft Ellwangen – für Schwäbisch Gmünd zuständig – die Ermittlungen gegen die Frau, die Yvonne an die Gurgel gegangen ist, eingestellt. Yvonne wird keine Beschwerde dagegen einreichen. Sie darf in den Roten Zellenbau umziehen.\\
Der Baum, auf den ich schaue, steht nun wieder so kahl da, wie ich ihn vor einem Jahr zum ersten Mal gesehen habe. Er verrät nicht, was er für einer ist. Ich weiß es nur inzwischen. Er ist das Einzige, was ich vermissen werde, wenn ich in den Langstrafenvollzug komme. Ich kann es kaum erwarten.
Dienstag, 3. Dezember
Und jetzt das:
Von:
[email protected] Betreff: Camilla Datum: 23. November 2013 04:36 MEZ An: Richard Weber
Lieber Richard,
geh doch bitte mal ans Telefon. Mein Flug geht in drei Stunden. Weißt du, wann der BGH seinen Beschluss zur Revision verkündet? Können die den eventuell aufschieben? Du kennst doch sicher die Karlsruher Richter. Und sag diesem rauschebärtigen Verteidiger von Camilla, er soll sich unbedingt mal die Liste der E-Mails von Deutschbein anschauen. Es kann nicht sein, dass Till an seine Ex in Australien so gut wie keine Mail geschrieben und von ihr keine einzige bekommen hat. Leider antwortet die Tussi nicht auf meine Mailanfragen. Und ich finde sie auch im Telefonbuch von Longreach nicht. Also fliege ich jetzt hin. Wünsch mir Glück. Und sei so nett und guck regelmäßig in deine E-Mails. Ich melde mich. Grüßle, L.
Diese Mail hat Weber mir heute gezeigt. Sein Blick ist lebhaft und scharf, voller Kraft, die man draußen hat, wenn das Leben läuft und Menschen um einen sind, die einen schätzen oder gar lieben. Er streckt mir die Hand hin, als ob er mir sein Beileid ausdrücken wollte zum Tod von Camilla Feh. Ich soll Sie ganz lieb von Ihren Pflegeeltern grüßen.
Wie geht es ihnen?
Nun ja, nicht gut, wie Sie sich denken können. Die Situation überfordert sie.
Ich kann es mir denken.
Weber bittet um Entschuldigung, weil ich so lange nichts von ihm gehört habe. Während des Prozesses schien ihm ein Besuch nicht hilfreich, und danach