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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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10. August
    Manchmal denke ich jetzt: Was, schon 16 Uhr? Der Tag ist schnell herumgegangen.
11. August
    Ich bin erkältet. Halsschmerzen, Kopfweh. Mein Tagesplan ist zusammengebrochen.
14. August
    Elli dreht ziemlich am Rad. Sie vermutet Gift im Essen. Sie meint, der Bruder des Toten, ja dessen ganze Familie trachtet ihr nach dem Leben, weil man ihr den Mord an ihrem Mann nicht nachweisen kann. Nachts wirft sie hundert Mal die Klappe. Sie denkt, sie wird auf der Hütte vergast.
16. August
    Heute gab es wieder ein Gewitter. Der Blitz hat eingeschlagen. Dann war der Strom weg. Die Schlusen waren irre aufgeregt. Lustig, ihre Angst zu sehen.
17. August
    Elli ist total schizo geworden, hat gezündelt. Jetzt ist sie zum Auswuchten auf der Gummihütte.
    Ich bin immer noch erkältet, Husten ist dazugekommen. Ich liege auf dem Bett, kann nicht lesen, nicht denken.
20. August
    Meine Mutter hat mir geschrieben. Man hat mir den Brief nicht ausgehändigt, als der Postwagen kam, sondern mich ins Büro gerufen. Die Abteilungsbeamtin überreicht ihn mir mit strengem Gesicht. Ich frage sie, was drinsteht. Muss ich ihn lesen?
    Sie hätten uns mitteilen müssen, dass Frau Vieregg Ihre Mutter ist, antwortet sie. Ich frage, warum? Hätten Sie uns dann getrennt? Außerdem hat es der Vorstand doch gewusst. Reden Sie nicht miteinander? Anscheinend wissen hier die einen nicht, was die andern tun.
Sonntag, 25. August
    Ich habe den Brief noch immer nicht gelesen. Ich habe keine Lust. Es ist mir alles widerlich. Es ist alles so falsch.
26. August
    Ich mag nicht mehr.
1. September
    Wieder ein Monat rum. Was machen eigentlich Lisa und Weber? Urlaub?
6. September
    Ich möchte mein Urteil. Dann rüber zu Yvonne in den Regelvollzug. Die haben ein Recht auf Arbeit, auf Freistunden. Es gibt eine Band, eine Gefängniszeitung, einen Fitnessraum. Im Priorhaus soll eine Weiße Frau spuken.
Montag, 9. September
    Morgen geht es nun also weiter. Die Plädoyers und das Urteil. Aber vielleicht geht es auch noch mal in die Beweisaufnahme. Oder Onkel Gerald verzögert alles noch einmal mit Anträgen. Aber was bringt das?
Dienstag, 10. September
    Nichts. Das Urteil ist gefallen: lebenslänglich. Hatte ich ernsthaft auf etwas anderes gehofft? Dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine Feststellung der besonderen Schwere der Schuld wurde immerhin nicht stattgegeben.
    Warum bin ich nicht einmal zornig? Ich sitze wieder am Tisch. Nichts ist mehr so wie gestern, mein Leben hat sich total verändert, aber ich spüre es nicht. Die Knastgeräusche sind dieselben. Der Baum stand gestern so wie heute. Er wirft propellerähnlich geflügelte Früchte ab.
Haftbuch, 11. September
    Nein, keine Vergebung für Lisa Nerz. Never. Vielleicht schämt sie sich, vielleicht quält es sie. Sie wird damit in Freiheit leben können. Ich nicht. Sie hat die Wahl, sich mir zu stellen oder nicht. Ich habe keine Wahl. Weder die, sie aufzusuchen und zur Rede zu stellen, noch die, es nicht zu tun. Ich kann nicht mal schriftlich mit ihr Kontakt aufnehmen, um ihr mitzuteilen, wie sehr ich sie verachte. Ich habe keine Adresse. Im Telefonbuch, das wir im Abteilungsbüro einsehen können, steht keine Lisa Nerz.
Sonntag, 15. September
    Als verurteilte Mörderin kann ich nicht in Berufung gehen. Mein Verfahren hat nicht vor dem Amtsgericht, sondern bereits vor dem Landgericht stattgefunden. Drei Richter und zwei Schöffen haben geurteilt. Und die können nicht irren. Onkel Gerald kann nur innerhalb einer Woche nach dem Urteil beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe Revision beantragen. Das tut er. Für die Begründung hat er einen Monat Zeit. Er sagt, bei Strafsachen werden Revisionsverfahren in 75 Prozent der Fälle innerhalb von drei Monaten abgeschlossen. So lange bleibe ich in U-Haft.
    Die Revision ist kein Prozess, wo wir alles noch mal darlegen und neue Entlastungsbeweise vorlegen könnten, falls wir welche hätten. Der Erste Strafsenat des BGH in Karlsruhe prüft keine Tatsachen, nur Verfahrensfehler. Und als Verfahrensfehler gelten solche Sachen, die nie vorkommen, etwa, das Gericht wäre nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen oder der Staatsanwalt war nicht dabei, die Öffentlichkeit wurde nicht hergestellt. Der einzige reelle Ansatzpunkt ist der, dass die Verteidigung durch einen Beschluss des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist. Beispielsweise, weil das Gericht irgendwelche Beweisanträge abgewiesen hat. In 98 Prozent der Fälle bestätigt der BGH das vom Landgericht gefällte

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