Die Affen von Cannstatt (German Edition)
zuständigen Staatsanwaltschaft und der Polizei in Verbindung zu setzen.
Die Erlaubnis gebe ich ihm. Hoffnung springt auf. Und dann kann Onkel Gerald eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen, ja?
Weber blickt skeptisch drein. Deutsche Gerichte entscheiden sich nur ungern und äußerst zögerlich für ein Wiederaufnahmeverfahren. Es widerspricht unserem Prinzip der Rechtsklarheit. Urteile müssen gelten, auch wenn sie fehlerhaft sein sollten. Hier befinden sich unsere beiden wichtigsten Rechtsstaatsprinzipien der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit in einem Konflikt.
Die Hoffnung knickt um. Ich kann dieses Rechtsstaatsgerede nicht mehr hören. Ja, was denn nun? Kein Wiederaufnahmeverfahren?
Ich meine nur, sagt er, überlassen Sie die nächsten Schritte der Staatsanwaltschaft und der Polizei. Die können neue Ermittlungen aufnehmen. Lisa hat nach meinem Dafürhalten einiges herausgefunden, was geeignet sein könnte, ein neues Licht auf die Sache zu werfen. Allerdings kann ich noch nicht erkennen, wie der Umstand Sie entlasten könnte, dass Deutschbein ein Zoophiler war.
Glauben Sie eigentlich, dass ich es getan habe?, frage ich ihn. Glauben Sie, dass ich Till den Bonobos zum Fraß vorgeworfen habe?
Weber lässt mich offen in seine eigenartig hellbraunen Augen blicken und sagt: Wenn Sie mich als Freund Ihres Pflegevaters fragen, dann antworte ich: Nein, ich glaube nicht, dass seine entzückende Tochter Camilla eine Mörderin ist. Als Staatsanwalt vertraue ich der Strafprozessordnung. Demnach sind Sie schuldig. Aber genau jetzt, wo ich vor Ihnen sitze und Sie vor mir, versuche ich, gar nichts über Sie zu denken. Nur so kann ich vermeiden, dass mich meine Gefühle beeinflussen, insbesondere meine Abscheu vor Mord.
Sie können überhaupt nicht verstehen, warum jemand einen anderen tötet?, erkundige ich mich.
Doch. Er weicht meinem Blick aus.
Ich warte, bis er sich sortiert hat.
Es gibt eine Form der … ja, der Ohnmacht, redet er schließlich stockend weiter, die ein … einen Anschlag als einzige Lösung erscheinen lässt. Weil man glaubt, nur so Schlimmeres … etwas wirklich Schlimmes … verhüten zu können. Vermutlich gäbe es auch in so einem Fall eine andere Lösung. Sie liegt nur außerhalb des eigenen Machtbereichs. Sie wäre mühsamer, langwieriger … sie würde das gemeinsame Handeln … ein vernünftiges demokratisches Handeln der … der Massen erfordern.
Die Masse wird ebenso leicht heldenhaft wie verbrecherisch, sage ich.
Und als Teil der Masse wird der Einzelne zum Mörder. Weber schaut mich an. Oder er lässt sich für eine Idee in den Tod schicken. Oder beides.
Was ist passiert?, frage ich.
Er schaut mich etwas verwundert an. Sie haben doch sicher mitbekommen, was vor zwei Jahren los war. Diese Hysterie wegen diesem … diesem Telekinesemörder.
Ach so, das! Auf einmal weiß ich, woher ich Lisa hätte kennen müssen. In der Tat, sie ist berühmt … zumindest gewesen. Die Medien lassen einen ja genauso schnell fallen, wie sie einen puschen. Und ich bin seit jeher unempfindlich für allgemeine Aufregungen und Hypes. Ich bin kein Massentyp.
Übrigens, sagt Weber, was dieses Buch von Le Bon betrifft … Er unterbricht sich und lächelt pfiffig, was gar nicht zu ihm passt. Nur Lisa ist der Realität gegenüber so ignorant, gewissermaßen vom Ergebnis her auf einen Sachverhalt zu schließen. Sie hat die Hypothese aufgestellt, dass Sie bei Ihrem letzten Gespräch mit Deutschbein in dessen Büro dieses Buch gesehen haben.
Ich bin perplex. Eine Tür platzt plötzlich auf. Ja, rufe ich, ja, das schwarze Buch, das habe ich gesehen. Ja, genau! Oder bilde ich es mir nur ein?
Allerdings, dämpft Weber, wissen wir das erst, wenn wir die Frau gefunden haben, die es ins Antiquariat gebracht hat.
Mittwoch, 4. Dezember
Die Gedanken bilden sich selbsttätig. Ich kann sie nicht stoppen. Till hat Professor Schmaleisen zuletzt gesehen. Aber bedeutet es zwingend, dass er den Alten in den Neckar geschubst hat? Und warum? Im Streit? Worüber könnten sie gestritten haben?
Etwa über mich? War Till am Ende eifersüchtig auf den Professor? Immer schon, und ich habe es nur nie gemerkt? Und dann erzählt Schmaleisen ihm, er habe sich gerade mit mir getroffen. Aber hätte Schmaleisen Till so etwas erzählt, dem Studenten, der ihn immer wieder verbal angegriffen hat? Dem er mehr als einmal mit Exmatrikulation gedroht hat? Oder gilt hier, dass der Silberrücken seine unartigen Studenten schätzt, solange
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