Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Das sei unzulässig.
Die Psychologin wird ermahnt. Aber gesagt ist gesagt. Sie traut mir die Tat zu. Nicht nur das, sie glaubt, dass ich sie begangen habe. Es nistet sich in den Köpfen meiner Richter ein. Auch wenn es aus dem Protokoll gestrichen worden ist.
Onkel Gerald stellt gegen sie ein Ablehnungsgesuch und verweist auf ein Radiointerview Anfang April. Darin hat sie es zwar zurückgewiesen, zu meinem Fall etwas zu sagen, sich aber im Anschluss daran über das kommunikative Geschick bestimmter Serienkiller verbreitet. Mit ihrem Charme können sie ihre Opfer dazu bringen, jegliches gesunde Misstrauen über Bord zu werfen und mit ihnen mitzugehen.
Freitag, 2. August
Ich sehne mich nach der Ruhe vor dem Prozess zurück. Als ich noch Zukunft hatte.
Am letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause hat Onkel Gerald beantragt, die Vergangenheit von Till zu durchleuchten, und entsprechende Zeugen vorgeschlagen, darunter Kolleginnen von mir und Mitglieder radikaler Tierschutzgruppen. Er vermisst die Klärung der Frage, warum Deutschbein in die Wilhelma eingestiegen und ins Menschenaffenhaus eingedrungen ist.
Der Richter lehnt das zwar nicht ab, der Verteidiger könne ja nach der Sommerpause die Beweisanträge stellen. Aber er bemerkt, er könne nicht recht erkennen, inwieweit dies der Klärung des Sachverhalts und der konkreten Tat dient. Meine Anwesenheit am Tatort ist ja hinlänglich bewiesen. Und der Leumund Deutschbeins steht hier nicht zur Debatte. Genauso wenig wie Fragen des Tierschutzes.
Samstag, 3. August
Meine Pflegemutter war gestern nach langer Zeit wieder einmal hier. Wir wissen nicht mehr, was wir miteinander reden sollen. Über den Prozess darf ich nicht sprechen. Also nicht über das, was mich umtreibt. Sie berichtet mit leerem Blick von Nachbarn, Verwandten, Freunden, entfernten Bekannten und schaut ständig verstohlen auf die Uhr. Sie werden den Laden wie immer im August für drei Wochen dichtmachen und zu Freunden an den Bodensee fahren.
Damit ist mein Besuchskontingent für die kommenden zwei Wochen auch schon ausgeschöpft. Zwei Wochen … ich weiß nicht, wie ich sie überstehen soll.
Haftbuch, Sonntag, 4. August
Der Baum lässt die vom letzten Hagelsturm zerfetzten Blätter hängen. Es ist schon wieder glutheiß. Hitzerekorde. Ich habe sechs Wochen Zeit, mir zu überlegen, ob ich das Recht der Angeklagten wahrnehme, das letzte Wort zu haben. Ich male mir Reden aus, bei denen ich sage, wie ich den Prozess erlebt habe und wie ich mich fühle angesichts des Urteils, das über mich gefällt werden wird. Aber Onkel Gerald rät mir von Lyrik ab, wie er es nennt. Es wird mir nur schaden, wenn ich als Intellektuelle auftrumpfe und damit implizit das Gericht zu einer Versammlung von Scharfrichtern degradiere, die ein Fehlurteil fällen werden. Das letzte Wort des Angeklagten wird in der Regel dafür genutzt, die Angehörigen des Opfers um Verzeihung zu bitten. Weine ein bisschen, empfiehlt er mir. Das verstehen die Leute.
Damit verabschiedet sich auch Onkel Gerald in den wohlverdienten Sommerurlaub. Er wird ihn mit seiner Familie in Norwegen verbringen.
Und was tue ich?
Haftbuch, 5. August
Ich mache mir einen Tagesplan, schriftlich. Darauf steht mit genauen Uhrzeiten, wann ich Gymnastik mache und wann ich jogge (beim Hofgang). Zwei Stunden am Tag, von 13:30 Uhr bis 15:30 Uhr, werde ich mich mit der Verbesserung meiner mathematischen Kenntnisse beschäftigen, Differenzialgleichungen, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Geometrie. Zwei weitere Stunden – eine von 7 bis 8, die andere von 10 bis 11 Uhr – werde ich Informatik lernen. Fürs Lesen setze ich insgesamt sieben Stunden an. Um das zu schaffen, muss ich alle noch nicht verplanten zehn Minuten und halben Stunden nutzen. Ich knalle mir den Tag so zu, dass ich in Zeitnot gerate. Und schreiben muss ich ja auch noch.
Haftbuch, 6. August
Und ich brauche Bücher. Meine Liste endet aber viel zu früh dort, wo ich erst einmal nachschauen müsste, welche Bücher es zu meinen Themen überhaupt gibt. Ich beantrage, dass ich Gelegenheit bekomme, über den Online-Katalog der Landesbibliothek nach geeigneter Literatur zu suchen. Das wird abgelehnt. Das hat man noch nie gemacht, so was gibt es nicht, und sowieso fehlt das Personal, mich dabei zu überwachen. Man verweist mich an die Anstaltsbibliothek, die ich aber nicht aufsuchen kann. Ich kann nur der Frau, die einmal in der Woche mit den Büchern kommt, meine Wünsche mitteilen. Sie gibt sich Mühe.
Haftbuch,
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