Die Affen von Cannstatt (German Edition)
hat mir heute Nacht einige gemailt. Sie enthalten eine Rechtfertigung der Zoophilie.
Ich schlucke.
Das war auch der Grund, fährt er fort, warum Brigitte ihn verlassen hat. Sie fand ein halbes Jahr nach der Hochzeit auf Deutschbeins Computer Bilder von einer Reise in den Kongo, die ihr … sagen wir mal so … überhaupt nicht gefallen haben.
Also doch?
Deutschbein hat seiner Frau wohl geschworen, dass es anders ist, als sie denkt. Er hat die Reise im Glauben unternommen, Bonobos in freier Wildbahn beobachten zu können, ist nach seiner Aussage dann aber auf einer Ranch mit gefangenen Affen gelandet, die eben in besagter Weise missbraucht wurden. Er erklärte, er habe das fotografisch dokumentieren wollen.
Klingt doch ganz plausibel, sage ich.
Seine damalige Frau hat ihm aber offenbar nicht geglaubt. Fragen Sie mich nicht, warum. Sie war schockiert, hat mir Lisa erzählt, und hat sofort die Scheidung eingereicht. Und Lisa hat sich ja nun jetzt monatelang darum bemüht, in der Tierrechtsszene jemanden zu finden, der Till Deutschbein kannte. Aber außer Sally und Andrea hat sie niemanden gefunden, und bei denen ist der Kontakt Jahre her. Es gibt jedoch ein Zoophilie-Forum, in dem ein gewisser Tibone auftaucht.
T-Bone, Tills Kriegsname. Mir ist schlecht.
Und seine E-Mails deuten ebenfalls auf diesbezügliche Aktivitäten hin. In einigen erklärt er seiner Exfrau, er habe sein Leben lang Tiere mehr geliebt als Menschen. Anscheinend kann man sich auch in ein Tier regelrecht verlieben. Und offenbar hatten es ihm schließlich die Bonobos angetan, besonders wohl Mara.
Die kleine Schwestermörderin, denke ich. Das passt.
Wie dem auch sei, meint Weber angewidert, solche Gefühle sind das eine, ihre Rechtfertigung ist wenig hilfreich und Deutschbein tut es darüber hinaus noch reichlich verquast. Demnach will er Zoophilie tatsächlich als Angriff auf die öffentliche Moral und die staatliche Ordnung verstanden wissen. Zoophilie packe die heuchlerische bürgerliche Moral dort, schreibt er an Brigitte, wo es die Gesellschaft am meisten schmerzt: bei ihrem irrationalen Verhältnis zu Tieren.
Weber hat den Ausdruck einer Mail auseinandergefaltet und liest die Phrasen vor, die Lisa ihm geschickt hat. »Während wir einerseits gefühlsduselig unser privates Haustier verhätscheln und überfüttern, ignorieren wir andererseits komplett die industrielle Folter und Ausbeutung von Tieren. Skandale in der Tierhaltung dienen uns lediglich dazu, die Massentierquälerei am besonders krassen Beispiel zu geißeln. Nach der Schließung des Betriebs sinkt man zufrieden zurück und glaubt, alles andere sei in Ordnung und unser Steak oder Schweineschnitzel käme tierfreundlich zustande.« Und weiter: »Zoophilie als Protest gegen die staatliche Ordnung, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, über die Sexualmoral ihrer Bürger zu wachen und abweichendes sexuelles Verhalten mit dem Begriff des Schädlichen zu versehen.«
Ich höre Till förmlich reden, habe aber Mühe zu folgen. Ich habe irgendwann auf meinem langen Weg durch die Haft die Fähigkeit verloren, mich länger auf etwas zu konzentrieren. Meine Gedanken fangen an zu baumeln, während Weber mit gerunzelter Stirn fortfährt. Sein Ton ist verwundert und ablehnend, während er zitiert.
»Nach der oberflächlichen und von heimlichem Widerwillen begleiteten Legalisierung der Homosexualität bleibt nurmehr die Zoophilie, um den Staat herauszufordern und seine unverändert patriarchalen und autoritären Züge zu entlarven. Nicht mehr der homosexuelle, sondern nur noch der zoophile Mensch kann in einer heuchlerisch sich aufgeklärt gebenden Gesellschaft aufzeigen, dass wir auf sexuelles Handeln immer noch entsetzt, angewidert, verurteilend und kriminalisierend reagieren, wenn es nicht der Gründung einer Familie dient.«
Stimmt irgendwie schon, denke ich. Will es aber nicht denken.
Weber schiebt mir die Blätter über den Tisch zu, und ich lese Tills Worte halbbewusst in mein fotografisches Gedächtnis ein. Dort befinden sie sich jedenfalls noch.
Und was bedeutet das?, frage ich. Kann der BGH das bei seiner Entscheidung über eine Revision noch berücksichtigen?
Nein, antwortet Weber. Der BGH macht keine Feststellungen zu Tatsachen. Er prüft nur, ob das Urteil ordnungsgemäß zustande gekommen ist.
Aber …
Frau Feh, unterbricht er mich, ich bin gekommen, um Sie zu unterrichten und von Ihnen die Erlaubnis einzuholen, mich zusammen mit Lisa schnellstmöglich mit der
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