Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Aussichtslos. Mir tut die Hand weh. Den Leistungslohn bekomme ich aber nur, wenn ich es schaffe. Und wir dürfen nicht reden während der Arbeit. Dafür gibt es eine Kaffeepause um neun.
Die Pappdeckel verraten nicht, für welche Firma wir da fummeln. Es sind Patientenakten, sagt die Oma beim Mittagessen. Sie ist 63. Sie muss nur noch zwei Jahre arbeiten. Dann geht sie in Knastrente. Sie hat schon alles Mögliche gemacht, Papierrosetten gefaltet, für 50 Cent pro Tausend gefalteter Rosen. Ja auch Tüten geklebt hat sie schon, wenn auch nicht aus Papier, sondern aus Plastik.
Muss ich eigentlich so einen Scheiß machen? Ich lese im Strafvollzugsgesetz nach. Strafgefangene erarbeiten sich einen Anspruch auf den sogenannten nicht monetären Teil. Draußen nennt man das Urlaub. Nach zwei Monaten kann ich einen Antrag auf einen freien Tag stellen. Nach einem Jahr stehen mir achtzehn Tage Freistellung von der Arbeitspflicht zu. Aber diese Arbeit will ich keine zwei Wochen machen. Nach Paragraph 41 StVollzG ist der Gefangene verpflichtet, eine ihm zugewiesene, seinen körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit auszuüben. Er kann jährlich bis zu drei Monaten zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt verpflichtet werden. Wenn er zustimmt, auch länger. Ich würde sofort zustimmen.
18. Dezember
Man hat mir schon von Pepita erzählt. Sie macht AV, also Arbeitsverweigerung. Sie lehnt es ab, Sklavenarbeit für das kapitalistische System zu leisten. Den Hausdienst will sie auch nicht machen. Das ist typische Frauenarbeit, Essen austeilen, Klos putzen, dienen. Vorhin hat sie mich in der Küche angesprochen. Sie sieht schlecht aus, ist käseweiß und dünn, bewegt sich langsam, als hätte sie eine schleichende Krankheit.
Du bist doch die Juristin, fragt sie mich.
Bin ich nicht, antworte ich, aber ich habe jede Menge Gesetzbücher auf der Hütte.
Pepita zeigt mir einen Brief der JVA. Darin steht, dass sie rückwirkend ab 1. Dezember einen Haftkostenbeitrag von 368,25 Euro für Kost und Logis bezahlen muss. Weil sie nicht arbeitet. Außerdem hat die Abteilungsbeamtin sie angeblafft, die Zweidrittelstrafe könne sie auch vergessen. Ohne Kooperation keine Hafterleichterungen. Dürfen die das?, fragt sie mich.
Ich schlage nach, und wir erklären uns das. Demnach erhebt die JVA vom Gefangenen immer einen Haftkostenbeitrag. Nur lässt sie ihn sich nicht auszahlen, wenn er arbeitet oder krank oder über 65 Jahre alt ist.
Das heißt, wir zahlen auch noch für den Knast? Wie für ein Hotel?
So ist das wohl, antworte ich. Und Kost und Logis werden uns vom Arbeitslohn abgezogen.
Weil sie nicht arbeitet, fehlt Pepita nun das Geld für die Kirmes. Denn für den Einkauf darf nur der Arbeitslohn verwendet werden. Pepita muss aber einkaufen, denn sie ist Veganerin. Ab und zu bekommt sie zwar Nüsse oder eine frische Paprika von einer von uns zugesteckt. Aber sie muss sich darüber hinaus mit Eiweiß und Vitaminen versorgen. Sie hat schon Mangelerscheinungen, die Darmflora geht kaputt, sie ist müde und hat Entzündungen in den Mundwinkeln.
Man müsste eine Versorgung für Veganer aufbauen, denke ich. Das ist wie eine Religion (eine Art moderner Naturreligion), und die muss die Anstalt respektieren. Unsere Muslimas müssen ja auch kein Schweinefleisch essen.
Pepita erzählt, sie ist verurteilt worden, weil sie bei ihrer Festnahme während eines Atomtransports einer Polizistin gegen das Knie getreten haben soll. Hinterher hat es geheißen: Kreuzbandriss. Die Polizistin kann angeblich nicht mehr richtig laufen. Hat Atteste vorgelegt. Pepita wurde – wie sie es ausdrückt – in einem Schnellprozess zu anderthalb Jahren verurteilt, und zwar ohne Bewährung, weil sie bei der Urteilsverkündung nicht aufgestanden ist.
Immerhin hat sie jede Menge Freunde, Kampfgenossen und Unterstützer, die ihr pausenlos schreiben. Jeden Abend bekommt sie eine Handvoll Briefe ausgehändigt. Sie braucht den Tag auf der Hütte, um sie alle zu lesen und zu beantworten. Außerdem schreibt sie ein Knasttagebuch. Wie Gramsci, sagt sie. Ob ich Gramsci kenne?
»Dass es objektive Möglichkeiten gibt, nicht Hungers zu sterben, und dass dabei Hungers gestorben wird, hat anscheinend seine Bedeutung. Die Existenz der objektiven Möglichkeiten oder Freiheiten reicht noch nicht aus: Es gilt sie zu erkennen und sich ihrer bedienen zu können. Sich ihrer bedienen zu wollen.«
Pepita lächelt und umarmt mich.
Ich verrate ihr nicht, dass ich diese Passage – hoffentlich
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