Die Affen von Cannstatt (German Edition)
sie ihm mit ihren Attacken die Möglichkeit geben, seine Stärke zu beweisen? Männer kämpfen anders. Spielerischer, sportlicher. Doch an diesem Abend am finsteren Neckarufer ist das Kräfteverhältnis gekippt. Schmaleisen hat zu sehr triumphiert, mich erobert zu haben, hat überreizt, seine einschüchternde Wirkung überschätzt, hatte keinen Sicherheitsdienst in Rufweite, um Till wegbringen zu lassen. Und Till ist handgreiflich geworden. Hat seine jugendliche Kraft ausgespielt. Oder hat Schmaleisen auf dem verschneiten Damm nur einfach das Gleichgewicht verloren?
Was hatte Till überhaupt an diesem 23. Dezember in Stuttgart zu suchen? Aber klar doch: Weihnachten daheim bei seinen Eltern feiern. Die allerdings wohnen in Degerloch oben auf den Fildern, nicht in Cannstatt am Neckar. Till muss auf dem Weg zu mir gewesen sein. Unsere Beziehung klären. Mich zurückholen. Und dann hört er Schmaleisen sich damit brüsten, mich als seine beste Studentin zurückgewonnen zu haben, und rastet aus. Aber war ich denn für ihn wirklich so wichtig? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich bin nicht wichtig für irgendwen. Oder doch?
War das mein Fehler? Dass ich nicht kapiert habe, dass Till unsere Trennung – meine Trennung von ihm –, die wir am zweiten Weihnachtsfeiertag schließlich vollzogen haben, nicht verwinden konnte?
Donnerstag, 5. Dezember
Ich warte.
Sonntag, 8. Dezember
Heute vor einem Jahr haben die Bonobos Till totgebissen.
Mittwoch, 12. Dezember
Es ist aus. Vorbei. Ende. Die Revision ist abgewiesen. Onkel Gerald hat mir gerade den Beschluss überbracht.
Aber es wird doch ein Wiederaufnahmeverfahren geben, sage ich, närrisch wie ich bin.
Onkel Gerald schnaubt. Aufgrund wovon denn? Diese Frau Nerz hat sich ja recht viel Mühe gegeben. Wir wissen jetzt, dass Deutschbein ein Zoophiler war. Und nun? Es erklärt bestenfalls, warum du ihn dazu bringen konntest – oder leicht hättest dazu bringen können –, dir ins Menschenaffenhaus zu folgen. Mein liebes Kind, ich habe dir schon einmal gesagt, Deutschbeins Beziehung zu seiner Exfrau Brigitte Crawson ist nicht relevant für das Verfahren.
Ist mein Verteidiger gegen mich?, frage ich mich. Muss ich mir einen neuen suchen? Ich verstehe, dass er stocksauer ist, weil ich alle seine Ratschläge in den Wind geschlagen und mich diesen beiden Gestalten anvertraut habe. Und angepisst, weil er überdies feststellen muss, dass sie besser waren als er.
Bitte, versteh mich doch, sage ich. Ich greife nach Strohhalmen.
Onkel Gerald seufzt. Camilla, ich will dir wirklich nicht die letzte Hoffnung nehmen, aber diese Lisa Nerz hat sich geirrt. Wieder einmal. Sie dachte, sie fände einen Abschiedsbrief von Deutschbein, mit dem sich eine suizidale Absicht belegen lässt. Hat sie aber nicht gefunden. Und selbst wenn es diesen Brief gäbe, er entkräftet nicht den DNS-Beweis für deine Anwesenheit am Tatort. Und solange brauchen wir uns den Kopf nicht über ein Wiederaufnahmeverfahren zu zerbrechen. Abgesehen davon dauert so etwas Jahre.
Okay. Strich drunter. Lebenslänglich. Das ist jetzt deine Welt.
Samstag, 14. Dezember
Ich bin in den Roten Zellenbau umgezogen. Fünfundvierzig Einzelzellen, ein Gemeinschaftsraum, ein Aufenthaltsraum mit Küche. Wow! Meine Hütte hat eine kleine Toilette mit Wänden und Tür. Die Wände sind cremegelb gestrichen, die Vorhänge orangefarben. Vom Fenster aus sehe ich den Lotusbrunnen, ein unten tropfenförmiges, oben penisartig auslaufendes Bronzeungetüm in einer runden Steinschale. Hier soll es auch, hat mir Yvonne erzählt, eine Nana von Niki de Saint Phalle geben. Das ist eine von diesen wie aufgeblasen dicken und krachbunten Frauenfiguren.
Der Regelvollzug ist schön. Morgens bleiben die Türen offen, ich kann mich im Schließgang frei bewegen. Kann mir Teewasser in der Küche kochen. Ich lerne die Frauen kennen und treffe Rabia wieder. Sie schimpft über die grauenvollen Tattoos, die sich die Mädchen von einer anderen haben stempeln lassen. Ja, und ich sehe Yvonne wieder.
17. Dezember
Mittags essen wir im Speisesaal aus Porzellangeschirr. Gestern hat man mich zum ersten Mal zur Arbeit umgeschlossen. Wir sitzen an Tischen und setzen Mappen zusammen. Man muss einen Plastikschlauch durch Löcher fädeln und damit eine Plastikschiene befestigen. Die Enden des Schlauchs werden unter die Schiene gedrückt, darüber kommt eine Plastikklemme. Die Mappen dürfen dabei nur vorsichtig aufgebogen werden. 117 Stück pro Stunde erwartet man von mir.
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