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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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halbwegs richtig – auswendig weiß, weil mir schien und scheint, dass meine Mutter vor allem das nicht geschafft hat: zu wissen, welche Möglichkeiten sie gehabt hätte. Es nicht wissen wollte.
20. Dezember
    Heute war Konferenz mit der Anstaltsleiterin, der zuständigen Abteilungsleiterin, dem Sozialarbeiter und dem Leiter der Sicherheitsabteilung. Sie entschuldigen sich, dass das Gespräch erst jetzt stattfindet. Offenbar hätte man es unmittelbar nach meinem Haftantritt im Regelvollzug mit mir führen müssen. Geschenkt.
    Es geht um meinen Vollzugsplan. Sie wollen von mir wissen, aus was für Familienverhältnissen ich komme und wie meine finanzielle Lage ist, vor allem ob ich Schulden habe, und wie ich mir vorstelle, meine Haftzeit zu absolvieren.
    Ich bin es nicht gewöhnt, über mich zu reden. Sie bemühen sich angestrengt um eine lockere Atmosphäre. Es klingt, als wollten sie mir wirklich die Chance geben, über meine Haftzeit mitzureden. Ich erkläre, dass ich Jura studieren möchte. Und ich möchte bei der Anstaltszeitung Die wei(s)se Frau mitmachen. Und ich würde auch CMS und Excel unterrichten. (Sie schmunzeln verkniffen.) Und bitte keine Tüten kleben oder Patientenaktendeckel zusammenbasteln. Ich mache dafür Hausdienst.
    Der Vollzugsplan wird dann ohne mich erstellt, höre ich. Aber ich soll ihn dann irgendwann von meiner Abteilungsbeamtin in einer Sprechstunde erläutert bekommen und kann Ergänzungen beantragen und Kritik äußern.
    Das Leben im Vollzug, heißt es in Paragraph 3 StVollzG, soll: 1. Den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich angeglichen werden. 2. Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken. 3. Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.
Montag, 23. Dezember
    Onkel Gerald hat sich in den Skiurlaub in Sankt Moritz verabschiedet. Früher sind wir dort alle zusammen gewesen.
    Für uns beginnt wieder einmal die Lange-Riegel-Zeit. Es wird kaum Besuch kommen. Arbeit findet fast keine statt. Denn dieses Jahr fällt Heiligabend auf den Dienstag. Es gibt in vierzehn Tagen nur fünf Arbeitstage. Unser Stammpersonal macht auch Urlaub, die Vertretungen – mehr Männer als sonst – sind ängstlich korrekt.
Dienstag, 24. Dezember
    Das wird wohl nichts mehr mit meinem Vollzugsplan vor dem neuen Jahr. Pepita hat mich eindringlich gewarnt. Die legen einfach so fest, was du arbeiten musst und ob sie dich für gefährlich halten. Sie hat ihren Vollzugsplan abgelehnt. In jedem Punkt.
    Theoretisch könnte ich in Gotteszell eine Ausbildung zur Modenäherin machen, außerdem zur Malerin und Lackiererin, Tischlerin, Hauswirtschafterin, Gebäudereinigerin und Bauten- und Objektbeschichterin. Auch die Wäscherei bietet eine Lehre an. Ich könnte außerdem den Hauptschul- oder Realschulabschluss machen. Offensichtlich haben verurteilte Mörderinnen, Betrügerinnen und Räuberinnen keinen Schulabschluss. Strafgefangene wie ich sind eher nicht vorgesehen.
    Ich würde gern als Lehrerin arbeiten, sage ich noch einmal. Ich könnte den Mädchen CMS, Excel und Datenmanagement beibringen. Braucht man ja auch im Leben draußen. Aber eine Lehrtätigkeit ist für Strafgefangene nicht vorgesehen. Eigentlich Verschwendung. Warum sollte ich nicht eine Lohnarbeit leisten, die nicht nur meinen körperlichen, sondern auch meinen geistigen Fähigkeiten angemessen ist? Gibt es nicht. Also muss ich studieren. So wie Yvonne. Sie ist von der Arbeitspflicht weitgehend freigestellt und erhält eine Ausbildungsbeihilfe.
Mittwoch, 25. Dezember
    Krisenstimmung. Der Hofgang fällt aus, für den Fitnessraum gibt es keine Aufsicht. Die Proben für die Band fallen auch aus. Pepita bekommt keine Post, heult und klappt zusammen. Sicher auch wegen des Vitamin-B12-Mangels. Sie kommt auf die Krankenstation.
    Rabia schimpft und jammert, weil sie ihre Kinder nicht sehen darf. Kein Weihnachtsbaum, keine leuchtenden Kinderaugen. Sie hat ein Bild von Weihnachten, wie sie es wahrscheinlich selbst nie erlebt hat. Sie weiß nicht einmal, wo ihre Kinder genau sind. Sie vermutet sie in einer Pflegefamilie. Vor lauter Denken an sich selbst und ihr Unglück hat sie sich nie wirklich für ihren Verbleib interessiert. Einige von uns reden auf sie ein, versuchen ihr das klarzumachen. Sie heult, und wir trösten sie.
    Wir trösten uns überhaupt viel. Zwischendurch gibt es Gekeife. Die Hälfte wirft Glückspillen ein oder grast. Das Zeug kommt über eine

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