Die Affen von Cannstatt (German Edition)
dich zurückfallen lassen in die Unsichtbarkeit von früher, aus der ich dich herausgeholt habe. Doch dann hast du dich entschieden, herauszutreten in die Welt. Als Siegerin. Und mein seien Schuld und Scham. Das ist die Rolle, die du mir mit strengem Blick aus blauen Augen zugewiesen hast. Ja, von Scham verstehst du was. Auch davon, wie man ihn in andere einpflanzt. Meine Verteidigung wird immer vergeblich sein. Vor allem vor mir selbst.
Deine Gefühle gehören jetzt Yvonne. Du wirst sie nicht vergessen im Knast, du wirst ihr schreiben, sie besuchen, ihr in ein paar Jahren bei der Rückkehr in die Freiheit helfen. Da bin ich mir deiner sicher, meine Schöne. Viel Glück euch beiden.
Bleibt mir nachzutragen, dass die Umstände von Till Deutschbeins Tod nur ungefähr geklärt worden sind. Denn Camillas Haftbuch endet ohne Auflösung. Das Verbrechen an sich interessiert sie nicht. Camilla hat sich damit nur so lange auseinandergesetzt, wie man sie selbst damit in Zusammenhang gebracht hat.
Die Polizei hat an der polnischen Grenze tatsächlich eine Tierfarm ausgehoben, auf der neben Ziegen, Ponys, Hunden und Katzen auch einige Halbaffen unter zweifelhaften Bedingungen gehalten wurden. Der Besitzer wirkte wie erlöst. Er hatte den Prozess gegen Camilla in den Medien verfolgt und sich gequält, nachdem sie verurteilt worden war, unfähig, zur Polizei zu gehen und die Verantwortung zu übernehmen. Der Mensch hängt halt an seinem Suchtgefängnis. Als die Polizei kam, hat er klugerweise sofort eingeräumt, was offensichtlich war. Er wollte einen Bonobo besitzen, weil er gehört hatte, sie würden ständig Sex machen. An die Ereignisse im Menschenaffenhaus der Wilhelma wollte er sich dann aber nicht mehr so genau erinnern können. Er redete sich auf Schock hinaus. Mit so viel Geschrei und Aggressionen hatte er nicht gerechnet. Die Entführung eines Affen sei ihm viel harmloser dargestellt worden. Den Namen des Mannes, der ihn eingeschleust hatte, habe er erst aus dem Prozess erfahren. Er habe ihn nur unter Tibone gekannt. Der habe das Kommando geführt. Es sei so geplant gewesen, dass Tibone in den Nachtkäfig geht und er, der Affenerlöser, die Tür zumacht und davor mit dem Pfefferspray steht und eingreift, falls etwas aus dem Ruder läuft. Das habe er auch getan, als die Tiere über Tibone herfielen. Es sei alles sehr schnell gegangen, Tibone habe gleich am Boden gelegen und sich nicht mehr gerührt. Er habe ihn ja retten wollen, behauptete der Affenerlöser, aber es seien ihm gleich zwei Affen entwischt, als er die Tür öffnete. Er habe gefürchtet, sie würden auch über ihn herfallen, machte die Tür wieder zu und flüchtete. Er habe keine Erinnerung mehr daran, wie er aus dem Affenhaus hinausgekommen sei. Dann sei er durch den nächtlichen Zoo geirrt, ohne den Ausgang zu finden. Schließlich wartete er hinter einem Bauzaun, bis es hell wurde und der Zoo öffnete. Seine Version wird man nicht widerlegen können. Man wird ihn in dieser Sache nur wegen unterlassener Hilfeleistung anklagen. Immerhin könnte Till noch leben, hätte er sofort die Polizei und mit ihr den Notarzt gerufen. Er habe unter Schock gestanden, erklärte er. Dass Camilla der Prozess gemacht wurde, habe ihn schon sehr belastet. Aber was hätte er denn machen sollen? Er hatte Angst davor, seinen Namen in der Presse zu lesen, wollte seine kleine Farm für extravagante Sexspiele nicht gefährden. Wollte behalten, was er sich zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse aufgebaut hatte. Dafür hat er nun den Tod eines anderen in Kauf genommen. Und fühlt sich nicht mal schuldig. Dieser Till Deutschbein, der habe es doch provoziert, behauptete er. Der habe doch gewusst, was er tat. Der habe das so gewollt. Der sei wirklich pervers gewesen. Davon sei er überzeugt, aber beweisen könne er es nicht. Nichts wird mehr bewiesen in diesem Fall. Und Schluss.
Übrigens war es tatsächlich Frau Dr. Seitz, die das Buch von Le Bon zusammen mit zwei Kisten anderer Bücher aus Tills Büro ins Antiquariat brachte. Als Schwabenreporterin Lisa Nerz habe ich mir bei ihr einen Termin geben lassen und sie gefragt. Wir saßen in seinem ehemaligen Büro mit dem Blick über Cannstatt hinweg bis zu den Anhöhen vom Frauenkopf und auf die gewaltige Anlage des Kraftwerks Münster. Sie hat es sich neu einrichten lassen. Tills Eltern hatten die Bücher nicht haben wollen und in die Altpapiertonne wollte sie sie nicht werfen. »Ich gehöre zu der Generation, für die Bücher noch
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