Die Affen von Cannstatt (German Edition)
unterschreiben. Dann geht es auf die Abteilung. Ich trage die Plastikkiste mit den Sachen. Die Beamtin geht halb hinter mir. Sie schließt mich eine Treppe hoch, wo eine andere Beamtin mich übernimmt. Sie schließt mich weiter in einen Gang mit Türen, die mal blau, mal gelb, mal pink gestrichen sind. Es ist wie im Fernsehen, nur bunter. Live höre ich das geschmeidige Klack-Klack des Schlüssels, wie er ins Schloss fährt und sich dreht. Die Schließerinnen haben alle dieselbe Technik, aus der Hüfte, leicht von unten rein und im selben Zug drehen. Schon bei den Affenpflegern im Zoo, die ständig auf- und zuschließen müssen, habe ich die Treffsicherheit und Flüssigkeit des Schließens bewundert.
Die Zelle riecht nach Putzmitteln und kaltem Rauch. Die Beamtin erklärt mir die Einrichtung, weist mich auf die Zellenkommunikationsanlage hin. Wenn ich den Notknopf drücke, lande ich bei der Abteilungsbeamtin im Büro, und wenn die nicht da ist, am Tor. Sie dreht den Wasserhahn auf und betätigt die Klospülung. Funktioniert. Der Funklautsprecher auch. Ich soll unterschreiben, dass ich das Inventar in unversehrtem Zustand übernommen habe.
Das kann ich doch jetzt nicht sagen.
In einem abgegriffenen Ordner befinden sich Anstaltsordnung und Zellenordnung. Ich soll ein Papier unterschreiben, auf dem steht, dass mir erklärt wurde, dass die Anstalt durch einen elektrisch geladenen Zaun gesichert ist und bei einem Fluchtversuch von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird. Der Ton warnender Strenge, die jederzeit in Drohungen umschlagen kann, ist von nun an der, in dem man mit mir reden wird.
Dann bin ich allein. Rechts Bett und Schrank, links ein Tisch mit Stuhl, der beim Zurückziehen ans Bett stößt. Ein Waschbecken (aus dem Hahn kommt nur kaltes Wasser), ein Mülleimer, die Kloschüssel. Über dem Tisch ein Ablagebrett. Das Fenster ist nachtdunkel.
Ich beziehe das Bett, lege die Waschsachen auf die Ablage über dem Waschbecken und stelle das Geschirr auf den Tisch. Ich lese die Anstaltsordnung. »Sie befinden sich hier in einer großen Gemeinschaft. Das erfordert verantwortliches Verhalten und gegenseitige Rücksichtnahme.«
Klopapier fehlt. Ich benutze einen Waschlappen und Wasser.
Ich nehme mir vor, mich nicht verrückt zu machen. Ich darf weder Protest noch Verzweiflung zulassen. Ich muss einen kühlen Kopf bewahren. Doch das ist schier nicht möglich. Die Verzweiflung steigt in mir hoch. Und plötzlich geht das Licht aus. In der Zelle der Widerschein der Wachstrahler. Ich höre das Gewummer einer Diskothek.
Mitten in der Nacht geht das Licht wieder an. Eine Neonleuchte an der Decke. Ich höre den Schlüssel sich mit dem sonoren Klack-Klack nähern, das in Zukunft meinen Tag bestimmt. Meine Tür geht auf. Eine Beamtin tritt ein. Ich fahre hoch. Guten Morgen, sagt sie. Lebendkontrolle nennt sich das. Das Licht bleibt an. Es kneift in den Augen.
Ich stehe auf, wasche mich am Waschbecken und ziehe mich an. Dieselben Sachen wie gestern. Plötzlich wieder Aufschluss. Duschen. Sehnsucht und Panik überfällt mich. Ich möchte schon duschen, aber die, die ich draußen plappern und rufen höre, das sind doch Mörderinnen, Totschlägerinnen, Betrügerinnen und Drogendealerinnen. Sie werden mich in der Dusche vergewaltigen. Ich bin wie gelähmt, gehe nicht. Wie Sie wollen, sagt die Beamtin und schließt wieder. Ich habe vergessen zu sagen, dass ich Klopapier brauche.
Hunger gräbt sich in meinen Magen. Wann kommen sie mit dem Frühstück? Ich warte. Langsam wird es hell. Vom Fenster aus sehe ich einen gestreuten Plattenweg, unberührten Schnee, ein Klinkerhaus mit Gitterfenstern, einen kahlen Baum und ein Stück Mauer mit Stacheldraht. Dahinter eine Mobilfunkantenne.
Plötzlich wieder der Schlüssel, die Schließerin steht in meiner Zelle, geschminkt und frisiert wie zu einer Geburtstagsparty mit glitzernden Ohrsteckern und Lippenstift. Ist es dieselbe wie am frühen Morgen? Ich habe keine Ahnung. Ausrücken zum Hofgang, informiert sie mich. Ich frage sie, wie spät es ist. Neun Uhr.
Ich ziehe mir hastig den Sommermantel über und trete raus auf den Gang mit den abartig bunten Türen. Andere versammeln sich, mit morgenbleichen Gesichtern, aber frisiert und geschminkt, bunt und in Jacken wie auf einem Schulhof. Ich schaue keine an. Sie drehen sich Zigaretten auf dem Weg hinunter.
Die Kälte beißt durch die dünnen Sohlen meiner Sneakers, zwickt mich in die Schultern, die Arme, den Nacken. Der Himmel ist wintergrau.
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