Die Affen von Cannstatt (German Edition)
ins Treppenhaus. Wir gehen an Automaten mit Keksen, Getränken und Zigaretten vorbei. Wer braucht hier Automaten?
Ich werde in eine Wartezelle eingeschlossen. Dann wieder rausgeschlossen, darf in den Besucherraum treten. Onkel Gerald sitzt an einem Tisch. Es ist hell und nett. Ich möchte hysterisch lachen und schlucke. Ich danke ihm, dass er gekommen ist, am Samstag.
Er schiebt mir eine Tüte Kekse über den Tisch. Dafür braucht man die Automaten. Fragen sprudeln aus mir heraus. Das Licht, der Laptop, wie lange muss ich hierbleiben? Ich bin doch unschuldig.
Er macht mir keine Hoffnung, dass sich bald irgendetwas ändert. Vor Weihnachten schon gar nicht. Erst sind alle im Weihnachtsstress und dann in Urlaub, und er hat es mit unsicheren Stellvertretern zu tun. Und zunächst braucht er Akteneinsicht. Er muss lesen, was sie mir vorwerfen und wie sie es beweisen wollen. Zu gegebener Zeit wird er entscheiden, ob ein Haftprüfungstermin Sinn hat. Aus mir sprudeln Mutmaßungen und Erklärungen heraus, aber er stoppt mich. Es sei Zeitverschwendung, über ungelegte Eier zu reden.
In groben Zügen erklärt er mir, was mich in der U-Haft erwartet. Ich höre es wie durch Gummi. Er erklärt mir, dass wir, auch wenn ich derzeit Einzelunterbringung genieße, zur Vorsicht einen ausdrücklichen Antrag auf Einzelzelle stellen werden.
Oder möchtest du die Zelle lieber mit einem Junkie auf kaltem Entzug teilen?
Plötzlich fange ich an zu heulen.
Kopf hoch, sagt er in seiner väterlich grollenden Art. Das wird schon. Spätestens nach der Revision kriegen wir einen Freispruch. Und, sagt er und hebt den Finger, einstweilen gilt: Schweigen ist Gold! Ich soll mit niemandem über irgendetwas reden, das mit den gegen mich erhobenen Vorwürfen zu tun hat. Mit absolut niemandem. Auch mit den Insassinnen hier nicht.
Haftbuch, 14. März
Mein erster Tag in Gotteszell ist ein vergleichsweise abwechslungsreicher gewesen. Es ist der letzte, an dem ich denke, es sei alles nur ein Missverständnis. Onkel Gerald ist in den folgenden Wochen der Einzige, mit dem ich ohne akustische Überwachung durch eine Beamtin sprechen kann. Der einzige Vertraute. Er sagt, die U-Haft darf nicht länger als ein halbes Jahr dauern. Dann muss der Prozess beginnen.
Ein halbes Jahr? Und was passiert solange mit meiner Wohnung? Und mit meinem Job? Das kann doch nicht wahr sein. Ich bin doch unschuldig.
Onkel Gerald nickt. Ja, ja, Camilla, wir zwei wissen das. Aber die Staatsanwaltschaft sieht das leider anders.
Staatsanwältin Meisner entscheidet über alles, was mich betrifft, bis das Gericht die Anklage angenommen hat. Sie genehmigt die Besuchsanträge, liest meine Post, entscheidet, was ich bekomme und was nicht. Von Onkel Gerald erfahre ich, dass sie Gesine Meisner heißt. Wir hätten es schlimmer treffen können. Aber gesprochen hat sie nicht mit mir. Es hat überhaupt niemand von denen, die mich anklagen, mit mir gesprochen. So habe ich mir unser Rechtssystem nicht vorgestellt.
Ich lerne Meisner in der folgenden Woche kennen. Sie kommt mit einem Hauptkommissar Christoph Weininger, der die Soko Wilhelma leitet. Sie sind extra von Stuttgart nach Schwäbisch Gmünd gefahren, nur damit Onkel Gerald ihnen zeremoniell erklärt, dass ich mich nicht äußern werde. Meisner ist eine brünette rundliche Person mit freundlichen braunen Augen. Ich hätte gern mit ihr gesprochen. Von Frau zu Frau. Aber Minuten später sind sie und der Polizist wieder weg. Niemand wird mir ab jetzt richtig zuhören. Es interessiert sie nicht, ob ich es wirklich getan habe. Sie haben schon geurteilt. Auch Onkel Gerald interessiert nicht, ob ich unschuldig bin, sondern nur, wie er mich verteidigen kann.
Wenn aber niemand, der draußen lebt, mit mir redet, kann ich auch nichts tun, um meine Lage zu ändern. Ich kann nur warten, von jetzt an für Monate. Jeden Tag um sechs Licht an und Aufschluss, Duschen, Hofgang, Aufschluss zum Mittagessen um Viertel vor zwölf. Halb fünf gibt es Brot, Streichkäse und Wurst fürs Abendessen und für das Frühstück am anderen Morgen. Dann kommt auch der Postwagen, und im Gang herrscht Stress, der meist in Enttäuschung mündet. Nur eine, Andrea die Politische, bekommt Unmengen Briefe. Falls ich ein Anliegen habe, kann ich in dieser Stunde aufs Abteilungsbüro gehen. Weil es dann Abend ist, wird die Sache erst am andern Tag in Angriff genommen. Und immer nur auf schriftlichen Antrag. Vormelder heißen die Formulare. Selbst für den Kugelschreiber,
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