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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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bei dem Händler, der bei der Anstalt als Lieferant zugelassen ist. Der Händler weiß dann, dass ich – Camilla Feh – mich im Gefängnis befinde. Das steht auf jedem Vormelder: »Ich bitte, die Überweisung für mich kostenpflichtig (unterstrichen) durchzuführen, mir ist bekannt, dass bei diesem Überweisungsweg durch die Angabe des Antraggebers auf dem Überweisungsträger (JVA Schwäbisch Gmünd) der Empfänger von meiner Inhaftierung Kenntnis erhalten kann.«
    Ich rätsle anfangs, was ich ankreuzen muss: »freies Geld«, »Hausgeld«, »unfreies Eigengeld« oder »Überbrückungsgeld«. Meine ersten Vormelder kommen am folgenden Nachmittag mit der Post zu mir zurück. Erst am darauffolgenden Nachmittag kann ich den Antrag wieder dem Postwagen anvertrauen. Niemand hat es eilig, meine Angelegenheiten zu befördern, nicht jede Schluse hat Lust, mir die Abläufe zu erklären. Ich muss in den Aufschlusszeiten meine Mithäftlinge ausfragen. Ich stelle fest, man kann mit Raubmörderinnen, Betrügerinnen und Drogendealerinnen so reden wie mit allen andern auch.
    Wie lange dauert es, bis ich eine Waschmarke kriege? Tage. Es ist ein Verwaltungsakt. Rabia empfiehlt mir Kleidertausch. Das heißt, meine Pflegemutter gibt frische Sachen am Tor ab und nimmt meine schmutzige Wäsche nach Hause mit. Ich will aber meine Pflegemutter nicht so einspannen. Wer weiß, wie lange sie mir noch gnädig ist.
Haftbuch, Montag, 18. März
    Alle Afrikaner stinken, sagt Maxi beim Mittagessen. Ich erschrecke. Jetzt muss ich sagen, dass ich das rassistisch finde. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen. Und keine wird böse. Eine Diskussion beginnt. Die Gedanken entwickeln sich. Zafira sagt, es sei einfach so, dass Menschen unterschiedlich riechen. Sie findet, dass die Deutschen alle aus dem Mund stinken. Rabia erzählt, sie habe mal mit einer Schwarzen die Zelle geteilt, und die habe nicht gestunken.
    Nach Nummer 44 der UVollzO darf sich der Gefangene auf seine Kosten selbst beschäftigen, soweit dies mit dem Haftzweck vereinbar ist und die Ordnung der Anstalt nicht stört. Wird ein entsprechender Antrag von der Anstaltsleitung abgelehnt, kann hiergegen beim zuständigen Richter Beschwerde eingelegt werden. Ich darf einen Nintendo zum Spielen haben, einen mp3-Player mit Musik, aber nichts, was sich zum Telefonieren nutzen lässt oder womit man über irgendein offenes W-Lan-Netz ins Internet gehen kann.
    Darauf kann ich verzichten, aber nicht auf den Laptop.
    »Das Leben im Untersuchungshaftvollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich angeglichen werden.« Paragraf 1 des Justizvollzugsgesetzbuchs Untersuchungshaft.
    Onkel Gerald seufzt. Ich habe immer gesagt, an dir ist eine Juristin verloren gegangen.
    Ich bin mir überhaupt verloren gegangen.
    Seit meiner Schulzeit habe ich nicht mehr mit der Hand geschrieben. Ich habe es probiert. Aber der Schreibkrampf schnippt mir den Stift aus den Fingern. Der Unterarm tut mir weh, die Schrift sieht aus wie mit links geschrieben. Die Worte fließen nicht, mein Denken wird tagebuchweinerlich und kindisch verstockt. Wenn ich die Sätze wiederlese, klingen sie hölzern. Sie haben nichts mit dem zu tun, was in mir tönt und tost.
    Eine Schreibmaschine darf ich haben, erklärt mir Onkel Gerald, sogar eine elektrische.
    Und dann ständig Anträge für Papier, Farbbänder und Korrekturbänder stellen? Und jedes Mal bezahlen? Und auf meinem Tisch wird der Papierstapel immer höher. Das ist neunzehntes Jahrhundert.
    Gerald gibt zu, dass da was dran ist. Wir können es nur gegenwärtig nicht ändern. Die Urteile dazu stammen alle aus den neunziger Jahren. Damals waren nur Floppy-Discs bekannt. Bis heute ist Voraussetzung für einen Computer, dass ich diesen aufgrund des Umfangs an Ermittlungsakten benötige und die JVA dies entsprechend einrichten kann. Eigentlich sind nur bei Wirtschaftsstrafsachen die Ermittlungsakten so umfänglich, sagt Onkel Gerald.
    Aber heutzutage hat ein Computer doch eine ganz andere Bedeutung. Und gilt für mich nicht sowieso die Unschuldsvermutung?
    Gerald hebt die Schultern. Das ist leider die Krux. Verglichen mit mir haben die Strafgefangenen im Regelstrafvollzug viele Freiheiten, aber die U-Haft dient nun eben leider der Sicherung des Strafverfahrens. Dabei geht es gar nicht so sehr um Fluchtgefahr – die bei einem Mordvorwurf allerdings immer gegeben ist – als vielmehr darum, zu verhindern, dass ich mit Zeugen Absprachen über mein Alibi treffe, sie

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