Die Affen von Cannstatt (German Edition)
angefangen, was zu rauchen. Und in demselben Ton, hastig und unberührt, sagt sie: Mit fünfzehn wurde ich vergewaltigt.
Es scheint nicht wichtig, von wem. Drei Tage danach mache ich Selbstmord, erzählt sie. Ich komme ins Krankenhaus. Der Arzt fragt mich, ob ich froh bin, dass ich überhaupt lebe, und ich sage: Nein. Da stimmt meine Mutter zu, dass ich in psychiatrische Behandlung gegeben werde. Ja, und da habe ich Medikamente gekriegt, und von da aus ging es nach der Entlassung richtig mit harten Drogen los. Mit siebzehn habe ich aufgehört und geheiratet, aber die Ehe war auch nicht das Prallste. Mein Mann hat auch Drogen genommen, er hat mich geschlagen, ich bin abgehauen und rückfällig geworden. Als das Geld ausging, bin ich in die Beschaffungskriminalität geraten. Ich habe geklaut, erst kleine Sachen, dann im Baumarkt, auf Auftrag, Bohrmaschinen und so. Sie haben mich erwischt, ich bin in U-Haft gekommen, habe ein Urteil auf Bewährung gekriegt. Der Richter sagt zu mir: Noch so ein Ding und du sitzt ein. Und nach zwei Monaten ist das natürlich der Fall. Ich habe wieder geklaut, bin in Hotels eingestiegen und so. Die Polizei hat vorn geklingelt, und ich bin mit meiner Tochter hinten zum Fenster raus und nach Stuttgart geflohen. Schwanger war ich auch wieder. In Stuttgart habe ich die Szene und den Straßenstrich kennengelernt. Von halb elf bis morgens um fünf stand ich an der Olgastraße. Am Anfang klappt das ja wunderbar, sagt sie, weil man neu ist. Dann habe ich einen Mann kennengelernt. Der hat dann entdeckt, dass ich ein Mädel bin, wo man retten kann. Rabia lacht verächtlich. Er hat mich wie eine Gefangene gehalten, wollte mich zum Entzug zwingen und so. Ich bin wieder abgehauen und wurde zum ersten Mal verknackt. Ein Jahr und drei Monate. Wie ich rauskomme, fing es von vorn an. Aber diesmal will ich alles richtig machen.
Sie hat einen Drogenentzug beantragt, den sie nach der Haft machen will. Sie hofft, dass der Richter das berücksichtigt. Wenn sie im Regelvollzug ist, darf sie vielleicht auch ihr jüngstes Kind zu sich holen, es ist erst ein Jahr alt. Sie haben eine Kinderstation in Schwäbisch Gmünd. Sie nickt. Sie klingt vernünftig, wenn sie mir das erzählt.
Und ich soll dich wirklich nicht stempeln?, fragt sie.
Nein.
Jede, die schon eingesessen hat, ist tätowiert, stelle ich fest. Über die Hälfte der Frauen ist nicht zum ersten Mal hier. Ihre Geschichten klingen ähnlich. Drogen, Einkaufen mit gestohlenen Kreditkarten, Diebstahl, Raubüberfälle, räuberische Erpressung. Sie kennen die juristischen Begriffe und die Straferwartung genau. Und sie kommen aus ganz Baden-Württemberg, denn Gotteszell ist das einzige Frauengefängnis im Land, untergebracht in einem alten Kloster mit Kreuzgang und Kirche.
Wir U-Häftlinge sind zusammen mit den Kurzzeitparkern – unter 4 Monate – und den Abschiebehäftlingen, die wir nie zu sehen kriegen, in Haus 5 untergebracht. Wir bewohnen Stock eins und zwei. Ich sitze im ersten Stock.
Haftbuch, 20. März
Kaum habe ich den Laptop, ignoriere ich das Gefängnis um mich herum. Nicht meine Welt. Ich bin keine von denen. Onkel Gerald meint, ich habe ihn nur bekommen, weil Dr. Weber – der brillanteste juristische Kopf in der gesamten Stuttgarter Staatsanwaltschaft und mit Gerald im selben Tennisclub – bei Staatsanwältin Meisner ein gutes Wort für mich eingelegt hat. Der hat anscheinend einen Narren an dir gefressen, sagt er und lächelt, ganz stolzer Onkel.
Doch nicht einmal drei Wochen später haben sie mir das Gerät wieder weggenommen. Der Knast ist wieder da, überfällt mich mit Gewalt. Tagelang ist mir schlecht vor Verzweiflung und Wut. Der Kehlkopf schmerzt, so sehr krampft sich das ständige Bedürfnis zu heulen in meiner Gurgel. Das kann sich niemand vorstellen, nicht einmal Onkel Gerald, der viele Verbrecher in U-Haft besucht hat. Ohnmacht und Sehnsucht sind tollwütige Wölfe, sie erzeugen Schluckbeschwerden und Krämpfe. Dazu die Angst. Die große vor der Zukunft, die tägliche vor schlechten Nachrichten oder gar keinen, vor dem stundenlangen Einschluss.
Und dann der Hass. Dem bin ich ausgeliefert. Ich hasse die Hyäne dafür, dass sie mich hier reingebracht hat. Ohne sie hätte niemand die persönliche Verbindung von mir zu dem Toten im Bonobogehege hergestellt, die mich zur dringend Tatverdächtigen macht.
Warum musste sie sich einmischen? Was geht es sie an? Für sie ist es ein reizvolles Detektivspiel. Und ich trage die
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