Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Konsequenzen. Hätte ich sie nur fleißiger mit Cognac abgefüllt. Von meiner Wohnung in Cannstatt sind es nur paar Schritte zum Neckar. Ich hätte einen Spaziergang vorschlagen können, sie hätte alles mitgemacht, um an mir dranzubleiben. Und dann ein Schubs auf dem verschneiten Damm. So hat sie es mir im Grunde ja selbst vorgeschlagen. Auf diese Weise, meinte sie, könnte ich meinen Professor Schmaleisen umgebracht haben. Eine betrunkene Person, die für ihren riskanten (Lisa) und genussorientierten (Lisa und Schmaleisen) Lebenswandel bekannt ist, stürzt den Damm hinunter, kann sich im Schnee nicht halten, fällt ins eiskalte Wasser und ertrinkt.
Dann wüsste ich wenigstens, warum ich hier bin.
Ich bin in Frieden aufgewachsen. Mit meiner Schultüte im Arm bin ich in eine berechenbare Welt aufgebrochen. Wenn auch unter dem Schatten meiner Mutter. Man hat Lukas und mir beigebracht, uns in die Lage eines anderen hineinzuversetzen, ihn zu verstehen, bevor wir ihn verurteilen. Wir haben alle unsere Aufgabe im Leben, sagte meine Pflegemutter immer.
Ich schärfe mir ein: Die Hyäne hat nur getan, worauf sie programmiert ist: nach Aas suchen. In sich selbst findet sie nichts, womit sie sich die Zeit vertreiben kann. Wert verschafft sie sich selbst nur, indem sie andere entlarvt und dabei entwertet. Es ist mein Fehler, dass ich ihr vertraut habe in dieser einen Nacht.
Sie hatte so etwas … wie soll ich es ausdrücken? … so etwas Neues, Unbekanntes, Freies. Ja, eine Freiheit des Denkens. Ungebundenheit. Aber eben auch eine furchtbare Verantwortungslosigkeit. Weil sie eine Mörderin suchte, lebe ich nun hinter Gittern unter Frauen, die andere krankenhausreif geschlagen, betrogen, bestohlen, belogen, sogar getötet haben. Und unter Drogenabhängigen auf kaltem Entzug, vollgepumpt mit Valium. Wenn sie neu sind, kotzen sie die Zelle voll oder den Gang.
Ihretwegen sind meine privatesten Momente nicht privat. Mein Klo hat keine Wände, duschen darf ich für sieben Minuten zusammen mit fünfzehn anderen nackten, meist tätowierten Leibern. Und alles, auch meine Kleidung, stinkt nach Fäkalien, Kotze, Putzmitteln und kaltem Zigarettenrauch.
Ich höre sie untereinander besprechen, wo sie Weißbrot herkriegen für den Angesetzten. Das ist Alkohol aus vergorenem Orangensaft und Weißbrothefe. Sie stecken sich heimlich Pillen und Glückspulver zu, die Tarnnamen haben: Dias für Diazepam, Evas oder Tabs für Ecstasy, Cola für Kokain, Fünfzehn für Opium nach dem fünfzehnten Buchstaben im Alphabet und Acht für Heroin. Gegen Bargeld, von dem mir rätselhaft ist, wo es herkommt – immer Scheine, nie Münzen –, verscherbeln sie sogar Telefonierzeiten auf einem Handy, das eine von irgendwoher hat. Was sie heiter macht, ist, dass man sie für nichts mehr bestrafen kann. Mehr Eingesperrtsein geht nicht.
Rabia wird sich einen neuen Tätowierstift basteln. Sie erklärt mir, was ein Bunker ist, nämlich ein Versteck. Es wissen alle, dass Häftlinge Bunker haben. Die meisten werden bei einer Durchsuchung entdeckt, sagt Rabia. So ist das halt. Ein Spiel, wo die Regeln klar sind. Ich werde hier aber nicht sagen, wo unsere Bunker sind. Auch wenn Onkel Gerald meint, die dürften meine Computereinträge nicht lesen. Rabia erzählt mir, ihr Bruder hat sich mal einen Tätowierapparat aus dem Motor eines Kassettenrekorders gebaut, als er im Knast saß. Die meisten in Rabias Familie haben schon gesessen. Als sie Kind war, erzählt sie, hat sie das nie kapiert. Die seien auf Kur, auf Urlaub, hat man ihr erzählt. Später, sagt sie, habe ich schon gecheckt, die machen was und kommen dafür ins Gefängnis. Aber ich hätte nie gedacht, dass es hier so schlimm ist, dass man hier so leidet, dass man hier so mit den Nerven ans Ende kommt.
Auch ihr Freund sitzt. Die Kinder sind im Heim. Sie hofft jetzt, dass ihr Leben sich ändert, dass sie ein mildes Urteil bekommt und sie nach der Drogentherapie zusammen noch mal einen Neustart machen. Ihrer Halbschwester geht es schlechter. Sie sitzt in Berlin wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Rabia zeigt mir wie Trophäen die Bild-Zeitungsartikel über ihren Bruder und ihre Halbschwester, die sie unter eine Schrankschublade geklemmt hat.
Die Frau, die mit ihr die Zelle teilt, heißt Elli. Sie ist klein, kräftig und Mitte dreißig. Eine Biergartenfrau mit rauer Stimme. Ihr Gelächter endet in Husten. Sie kommt aus Oberschwaben, aus Ravensburg, und hat ihrem Lover das Gas
Weitere Kostenlose Bücher