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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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abgestellt. Sie hat ihn erdrosselt, mit einem Kabel. Der Staatsanwalt hat sie wegen Mordes angeklagt. Aber eigentlich hat sie gar nichts gemacht, beteuert sie. Und es ist ihr wichtig, dass ich nicke und zustimme. Sie hat sich nur verteidigt. Er hat sie geschlagen, ist mit dem Messer auf sie losgegangen. Er hätte mich kaltgemacht, sagt sie, ich habe praktisch um mein Leben gekämpft. Es war Notwehr.
    Elli sitzt bereits neun Monate in U-Haft. Weil sie alles abstreitet und man ihr nichts beweisen kann, erklärt sie mir. Wenn sie gestanden hätte, hätte sie längst ihr Urteil und säße im Regelvollzug. Aber sie kann nicht gestehen, was sie nicht getan hat.
    Neun Monate? Ich frage sie, wie man das aushält.
    Man hält es nicht aus. Ganz am Anfang ist es besser gewesen. Da hat sie arbeiten dürfen, sogar im Klärwerk, also in der Küche. Aber jetzt gibt es nicht mehr genug Arbeit in der JVA, und die im Regelvollzug müssen ja arbeiten. Nun sitzt sie eben auf der Hütte den ganzen Tag, guckt fern und strickt Pullover aus superfeinem Garn (damit es lange dauert), das sie sich schicken lässt. Sie will mir auch einen stricken.
    Von ihr lerne ich das Pendeln. An aneinandergeknüpften Schnürsenkeln pendelt sie mir nachts in einen Turnschuh geklemmt eine Dose Thunfisch von ihrem Zellenfenster zu meinem herüber. So komme ich abends auch an ihren selbstgebastelten Tauchsieder, mit dem ich mir in einer aufgeschnittenen Kaffeepulverpackung mein Teewasser heiß machen kann. Der Anstaltstee gerbt den Magen bis ins Gedärm.
Haftbuch, 21. März
    Ich soll halt auf meinem Computer nichts schreiben, was die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt gefährden könnte, warnt mich Onkel Gerald, als er endlich kommt.
    Aber was habe ich denn geschrieben?, frage ich ihn. Dass die hier Schlüssel verwenden? Ja, Himmel, das weiß doch jeder.
    Er kann es mir auch nicht sagen. Außerdem ist er verärgert. Wieso ich ihm bis dato nichts erzählt habe vom Tod meines damaligen Soziologieprofessors, Norbert Schmaleisen?
    Was hat Schmaleisens Tod mit meinem Verfahren zu tun?, frage ich.
    Er holt tief Luft und sagt: Mein liebes Kind, im Lichte des bislang ungeklärten Todesfalls, der in einem engen Zusammenhang mit dieser Seminararbeit über die Bonobos und deinem Scheitern als Studentin zu stehen scheint, wird nunmehr ein Motiv für den gewaltsamen Tod deines damaligen Lebensgefährten, Till Deutschbein, greifbar.
    Was soll das denn für ein Motiv sein?, will ich wissen.
    Onkel Gerald schüttelt den Kopf und hält mir einen Vortrag über die unvernünftige und gefährliche Dummheit Beschuldigter, ihrem Strafverteidiger gegenüber mit der Wahrheit hinterm Berg zu halten. Er ist in dem Verfahren nicht mein Gegner, schimpft er. Er ist mein Freund. Und egal, wie groß die Scheiße ist, in die ich mich geritten habe, er muss sie kennen – jedes Köttelchen –, sonst ist die Staatsanwaltschaft uns immer einen Schritt voraus und es kommt im Prozess zu bösen Überraschungen.
    Na, sage ich, dann sollten die Staatsvertreter doch eigentlich erpicht darauf sein, dass ich meinen Schreibcomputer zurückkriege. Vielleicht lege ich aus Versehen ein Geständnis ab. Ich lache. Zum ersten Mal, seit ich in Haft bin, blitzt mein Verstand, fühle ich mich handlungsfähig.
    Onkel Gerald lacht nicht. Als mein Verteidiger muss er mir generell abraten vom Tagebuchschreiben.
    Ich kann aber nicht ständig schweigen, nicht monatelang. Irgendwann fange ich an, meine Kolleginnen vollzuquatschen.
    Er seufzt. Die anderen schaffen das auch.
    Aber die sind nicht in Gefahr, unschuldig verurteilt zu werden, verteidige ich mich. Sie müssen nicht den einen Beweis ihrer Unschuld finden. Ich komme nicht raus, um ihn zu suchen, also muss ich in mich hinein. Muss in meiner Erinnerung graben, mit Pinsel und Pinzette. Irgendwo in meinem Kopf ist der Ansatzpunkt versteckt, wie ich den Beweis meiner Unschuld erbringen kann. Ich muss ihn nur finden. Dabei hilft mir schreiben am meisten. Es verlangt Konzentration und Versenkung, es ist Meditation und Reinigung. Es ist meine einzige Chance, verstehst du, Onkel Gerald? Es ist egal, wer es sonst noch liest. Es hilft mir, mich nicht so ohnmächtig und ausgeliefert zu fühlen und mich nicht jeden Tag, jede Stunde vor der Zeit zu fürchten, die ich noch zu leben habe.
    Onkel Gerald ist kein feinfühliger Mensch, aber er denkt logisch. Ich schätze, er hält meine Lage für so aussichtslos, dass er nicht mehr befürchtet, ich könnte mir noch

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