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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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schaden.
    Noch einmal krakle ich mit der Hand einen Brief an Staatsanwältin Meisner. Und noch einmal schreibe ich auch an Oberstaatsanwalt Dr. Richard Weber. Warum, kann ich rational nicht erklären. Ich vermute, ich traue Männern mehr Souveränität und Gnade zu als Frauen. Und vielleicht hat der Herr wirklich einen Narren an mir gefressen.
Haftbuch, 22. März
    Das Fernsehprogramm vergittert den Tag mit Morgenmagazin, Rote Rosen, Sturm der Liebe, der Wiederholung von Brisant, danach dem ARD-Buffet und Mittagsmagazin, dem Nachmittagsprogramm mit Kochshows und Planet Wissen. Das Außenweltgeschrei ist ein Anker ohne Sinn. Es hat keine Bedeutung für mich, ob Sport so gesund ist, wie man glaubt, oder Fastfood so ungesund, wie man denkt. Gymnastik machen kann ich nur auf der Zelle, und mein Essen kann ich mir nicht aussuchen.
    Ich stelle Antrag auf Arbeit. Es gibt aber keine Arbeit für U- Häftlinge. Ich will arbeiten, sage ich jedes Mal, wenn eine der Beamtinnen aufschließt. Es darf auch stupide sein. Listen machen, was ausrechnen. Ich kann mit Excel umgehen.
    Immer schütteln sie den Kopf. Immer heißt es: Das geht nicht. Das ist nicht üblich. Das machen wir nicht. Das wäre gegen die Anstaltsordnung. Anspruch auf Arbeit habe ich nicht. Der Sinn der U-Haft ist es, die Kontakte so gering wie möglich zu halten.
    Die einzigen Jobs, die sie vergeben, sind die der Hausarbeiterinnen. Duschen saubermachen, Abteilungsbüros reinigen, nach einem Abgang die Zelle putzen. Das darf nur, wer als vertrauenswürdig gilt. Rabia nennt sie Bazillen und Zuträger. Ich stelle Antrag. Es gibt nur drei Plätze auf der Abteilung, und die sind vergeben.
    Es klingt geschäftig, wenn ich das so schreibe. Aber zwischen den Aufschlüssen dehnen sich die Stunden. Die Politische, Andrea, gibt mir Nachrichten aus dem Strafvollzug. Der Autor sitzt seit 1996 wegen Bankraubs mit Geiselnahme, mit dem er Geld für illegale linke Projekte beschaffen wollte. Am Ende seiner Strafe soll er in Sicherungsverwahrung kommen und wehrt sich. »Als Gefangener einer totalen Institution tut man gut daran, auch auf die Feinheiten zu achten. Wie sagte ein Vollzugsbeamter kürzlich: Alle mit SV gehen auch in die SV, hier wird keiner entlassen.«
    Ich rotiere.
    Sadismus ist scheint’s unsere große soziale Leidenschaft. Es ist in uns eine große Lust am Leid des anderen. Daran, Abschaum zu bilden und auf ihn zu schimpfen. Die Worte kommen automatisch. Solche wie uns füttert der Staat durch, wir haben ein Dach überm Kopf, kriegen eine warme Mahlzeit, müssen uns um nichts kümmern, nicht mal arbeiten. Ein Luxusleben ist das.
    Euch sei gesagt: Unfreiheit zerstört den Respekt vor sich selbst. Ich verliere die Kontrolle über mich. Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich hadere. An manchen Tagen mache ich Gymnastik bis zur Erschöpfung, Bauchaufzüge, Liegestütze, Kniebeugen. Beim Hofgang jogge ich eine Stunde im Kreis. Ich bin die Irre, die sich nicht einlässt auf den Alltag. Sie grinsen über mich, sie flüstern hinter mir. Und eines Tages lässt mich der Sozialarbeiter zu sich ins Büro bringen und redet mir ins Gewissen. Ein Geständnis, sagt er, kann die Lage unter Umständen erleichtern.
    Was will der? Ein Geständnis. Ich mache dicht.
    Die Einstellung ist wichtig, erklärt er mir. Ich muss mich einlassen auf meine Situation. Der Mensch besitzt eine wunderbare Anpassungsfähigkeit.
    Dann pass doch du dich an, denke ich.
    Es geht, sagt er, um Anpassung im Sinne von Überleben, nicht von Unterordnung. Sie müssen Möglichkeiten finden, die Ihre neue Umgebung bedingt erträglich machen. Man kann beispielsweise die Stille der Zelle dazu benutzen, zu lesen, sich Notizen zu machen, eigene Überlegungen aufzuschreiben.
    Genau das will ich tun, sage ich. Und dazu brauche ich meinen Laptop zurück. Ich kann nämlich nicht mit der Hand schreiben. Ich kriege einen Schreibkrampf.
    Ach so, sagt er.
    Hat er das nicht gewusst? Die Schlusen wissen es alle, die Anstaltsleiterin auch. Der Mann ist Mitte dreißig. Vermutlich hat er Familie. Er darf jeden Abend das Kloster verlassen.
    Sie dürfen sich nicht so sehr auf das eine versteifen, meint er. Suchen Sie sich Alternativen. Wenn Sie nicht schreiben können, dann reden Sie mit sich. Führen Sie Selbstgespräche. Es gibt Autoren, die haben im Gefängnis im Kopf ganze Bücher geschrieben.
    Ah, wer denn zum Beispiel?
    Da fällt ihm jetzt keiner ein.
    Ich will ja auch keine Bücher schreiben.
    Was draußen als unsozial gilt,

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