Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Ernährung, sondern ausschließlich im Dienst von Mode und Luxus. »Die Hartzvierempfängerin kann sich keinen Pelz kaufen.«
    »Umso besser«, antwortete ich, »eine Pelzsünderin weniger.«
    Wir haben viel diskutiert. Till schilderte mir die grauenhaften Bedingungen der Massentierhaltung. Er trug keine Wolle, kein Leder, keine Seide. Die Nahrungssuche kostete Zeit. Tofu statt Fleisch. Backen mit Apfelmus statt mit Eiern, Hefeflocken statt Parmesan, Soja- und Mandelmilch in den Kaffee. Ab und zu musste Till in den Wald, Erde fressen für die Darmflora. Er tat es für sein Gewissen. Um sich selbst in den Wirbeln der Widersprüche, in denen wir leben, gut zu fühlen und gerade halten zu können. Und um ein Vorkämpfer zu sein, ein Einzelkämpfer, ein Mensch von seltener Verantwortung und hoher Moral. Seine Versuche, mich vom veganen Leben zu überzeugen, waren nur halbherzig. Ich denke, es war ihm recht, dass ich nicht seine Stärke und Konsequenz aufbringen konnte. Bei jedem Stück Fleisch, das ich aß, habe ich mich schwach gefühlt.
    Nur einmal hat er sich den nötigen Schlagabtausch mit Gustav geliefert. Tills intellektueller Überlegenheit begegnete mein Pflegevater mit dem Verweis auf ein uraltes, vorindustrielles Handwerk, das nicht vergessen werden darf. Menschen wie Till waren zu der Zeit anfällig für den Gedanken des Bewahrens. Landschaften, indigene Traditionen, Eisbären, das Wissen chinesischer oder klösterlicher Heiler, eine von Schließung bedrohte alternative Kultureinrichtung. Man drehte sich von einer Demo weg und sah schon die nächste Baustelle, an der es Position zu beziehen und Gesicht zu zeigen galt.
    Selbstverständlich lehnte Till die Zootierhaltung ab. Von mir wollte er wissen, wie man nachts hineinkommt. Ob es Überwachungskameras gibt.
    »Die Wilhelma ist kein Sicherheitstrakt«, erklärte ich ihm. »Das Menschenaffenhaus hat Fenster, über die du einsteigen kannst, eine Glastür. In den Gang zu den Nachtgehegen kommst du mit einem Vierkantschlüssel, den du in jedem Baumarkt kriegst. Nur die Gehegetüren sind mit Vorhängeschlössern gesichert. Die Schlüssel haben nur die Pfleger. Und sie nehmen sie abends mit nach Hause.«
    »Man könnte Wachsabdrücke nehmen«, überlegte er. »Sie lassen ihre Schlüssel doch sicher auch mal liegen. Sie verstehen sich ja nicht als Gefängniswärter. Was sie de facto sind.«
    »Du denkst doch wohl nicht, dass ich das mache«, antwortete ich ihm. »Außerdem tragen die Pfleger die Schlüssel am Leib, an Karabinerhaken, in der Hosentasche. Schlag dir das aus dem Kopf, Till. Es hat keinen Sinn, die Menschenaffen zu befreien. Wahrscheinlich würden sie ihr Haus gar nicht verlassen. Sie sind Gewohnheitstiere. Sie hätten Angst vor der fremden Welt da draußen, zumal in dunkler Nacht. Aber sie würden sich fürchterlich kloppen und beißen, wenn sie im Gang aufeinanderträfen. Die Gorillas, die Orang-Utans und die Bonobos. Es würde ein Blutbad geben.«
    »Da geht es den Affen wohl nicht anders als uns«, behauptete Till. »Da wir seit vielen tausend Jahren unter irgendeiner Form von Herrschaft geboren und gestorben sind, erscheinen uns Gefangenschaft und Fremdbestimmung naturgegeben und ein Ausbruch lebensgefährlich. Wir verfügen über keine Bilder von einem Ort ohne Herrschaft. Und wovon wir keine Bilder haben, das können wir auch nicht anstreben.«
    Er hat den Gedanken an eine Befreiungsaktion dennoch nicht aufgegeben.
Haftbuch, Donnerstag, 4. April
    Der Schlüssel ist der Knackpunkt. Ich kann noch so oft beteuern, ich hätte den Pflegerschlüssel zu den Nachtgehegen nie in der Hand gehabt, ich sei auch überhaupt nur ein einziges Mal hinten im Schließgang gewesen, die Gelegenheit, mir eine Kopie von den Schlüsseln zu machen, hätte ich gehabt. Das scheint zu reichen.
    Zwar muss ich nicht beweisen, dass ich die Tat nicht begangen habe, sondern man muss sie mir nachweisen. Aber wenn ich tatsächlich beweisen könnte, dass ich in der Nacht, in der Till starb, nicht im Affenhaus war, dann müsste das Gericht sich nicht aufgrund der Indizienlage entscheiden zwischen in dubio pro reo und der Überzeugung der Boulevardpresse, dass die stille Blondine mit den Eisaugen ihren ehemaligen Professor und ihren einstigen Geliebten kaltblütig ermordet hat.
    Onkel Gerald versucht mich zu beruhigen. Es ist die Große Strafkammer des Landgerichts, die über mich urteilen wird, drei Berufsrichter und zwei Schöffen. Man kann zwar nie ausschließen, dass die

Weitere Kostenlose Bücher