Die Affen von Cannstatt (German Edition)
und Krawatte, das blonde Haar kurz und kein einziges Piercing mehr.
Er hat mir die Stelle bei sich im Betrieb angeboten.
Ich hatte nach meinem Weggang aus Tübingen nur kurz bei uns im Laden ausgeholfen. Über eine ehemalige Klassenkameradin kam ich dann in eine Eventagentur hinein. Fünf Frauen. Drei Jahre lang haben wir äußerst effizient Hochzeiten, runde Geburtstage und Firmenjubiläen ausgerichtet. Ich war für alles zuständig, was auf Papier gedruckt wird, Einladungskarten, Tischkarten, Menükarten, und was im Internet rund um die Feier passiert. Sylvie organisierte die kulinarische Versorgung, Kim das Unterhaltungsprogramm, Sängerinnen, Combos, Erwachsenenspiele, Karo schleppte alles, was schwer und unhandlich war, eigenhändig Treppen rauf und runter und baute Bühnen und Dekorationen, Rachel installierte die Elektronik und Akustik. Nie gab es Streit. Tatsächlich überhaupt nie. Ilona, unsere Chefin, war immer in Eile, aber herzlich. Dann wurde sie Freitagnacht von einem betrunkenen Autofahrer auf der Theo, der Stuttgarter Partymeile, angefahren. Seitdem liegt sie im Koma. Wir haben es ohne Ilona versucht, aber das Zentrum fehlte. Nach drei Monaten löste sich die Agentur auf, und wir gingen unserer Wege.
In derselben Woche lief ich im La Piazza Till über den Weg. Ich betrat mit Filiz die Nobelpizzeria in der Urbanstraße beim Landgericht. Wir schauten uns nach einem Tisch um, da sprang ein geleckter blonder Anzugtyp auf und rief ohne jeden Anflug von Verlegenheit: »Camilla!« Der Mann bei ihm am Tisch drehte sich nach uns um und musterte uns mit dem Männerblick, vom Busen abwärts. Beide hatten große Teller mit Saltimbocca vor sich.
In kaum dreißig Sekunden klären wir unseren neuen Status. Ich seit einer Woche ohne Arbeit, Till seit einem Jahr Abteilungsleiter bei Sowieso. Den Namen der Firma habe ich nicht verstanden. »Ich hätte da übrigens einen Job für dich. Ruf mich an«, sagt er und gibt mir seine Karte.
Till Deutschbein, Executive Director, PeOfiS, PerfectOfficeSystems, Rommelstraße 31, Stuttgart.
Ich berate mich mit Filiz. »Mach das doch«, sagt sie. »Schau dir an, was er für einen Job für dich hat. Warum denn nicht?«
Ich zögere. Immer schon ist Till besonders gern der gewesen, der was zu vergeben hat und Schicksale ändert. Als Student hatte er in Ermangelung von Geld und Macht hauptsächlich kritisches Bewusstsein anzubieten.
Ich bin ihm ja auch dankbar. Er hat mich aus der Pelztierkuschelecke meiner Kindheit geholt und erst mit dem Feminismus, dann mit der marxistischen Philosophie Antonio Gramscis gebürstet. Aus den Gefängnisheften haben wir uns vorgelesen. Insbesondere ich ihm. Während ich vom Kampf für eine neue Kultur spreche, liegt er mit Kopf und Ohr auf meinem nackten Bauch. »Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens«, lese ich in sein offenes Ohr, während er mit dem anderen dem Knurren meines Magens und dem Grollen in meinem Gedärm lauscht. Aus mir hat er eine begehrenswerte und kluge Frau gemacht. Jetzt verschafft er mir Job und Lebensunterhalt. Wieder muss ich ihm dankbar sein, auch wenn der gönnerhafte Gestus mir nicht gefällt. In seinem etwas engen Anzügle mit weißem Hemd und Bauchansatz steht er vor mir wie Daniel Craig in seiner Rolle als James Bond, wenn er über die Highlands blickt. Breitbeinig, die Hüfte vorgeschoben. Er trägt mir nichts nach, er kann verzeihen, er ist drüber weg. Er hat mich hinter sich gelassen in den unteren Gehaltsklassen seiner Firma.
Ich weiß gar nicht, ob ich meinen Job wirklich ihm verdanke. Die Peofis hat nach dem Weggang Manuelas schnell eine gebraucht, die mit Excel und CMS klarkommt, den Posten sofort antritt und keine großen Gehaltsansprüche stellen kann. Jemanden mit abgebrochenem Studium. Knapp ein halbes Jahr sitze ich nun schon in einem Großraumbüro mit orangefarbenen Stühlen, weißen Raumteilern und wolkenartigen Dingern, die von der Decke hängen und eine heimelige Atmosphäre schaffen sollen. Eine Organisation der kurzen Wege und schnellen Kommunikation, erklärt Till mir die Vorteile des Großraumbüros. Man sieht, wer da ist, kann aufstehen und rübergehen und die Dinge gleich klären, statt Mails zu schreiben oder zu telefonieren.
Peofis organisiert in anderen Unternehmen moderne Arbeitsabläufe mit dazugehörigen
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