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Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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System, die Schlusen genauso wie wir Gittermäuse. Diese Gerechtigkeit entwürdigt das Individuum, sie ist erbarmungslos. Nur wer Angst hat, die Kontrolle zu verlieren, ist gerecht. Freiheit wird es erst dann geben, wenn keiner mehr Macht hat und will.
Haftbuch, Dienstag, 2. April
    Es war der Horror. Karfreitag, Samstag, Sonntag, Montag, vier Tage Einschluss auf der Hütte. Unser Besuchstag, Freitag, ist ausgefallen, weil Feiertag. Kein Arbeitsdienst, keine Chance, andere zu sehen, denn für den Mittagstisch im Aufenthaltsraum fehlt das Personal. Wegen Personalmangels fällt der Hofgang aus, auch am Ostermontag, dem einzigen Tag, an dem nach Wochen Schnee, Kälte und Wind die Sonne scheint.
    Sonntagnacht höre ich Gerenne auf dem Schließgang. Ich sehe Blaulicht aus Richtung Tor hinter den Gebäuden pulsieren.
    Und dann läuten die Glocken von Gotteszell. Die Kirche bleibt zwar stumm, aber die Gitter nicht. Bei mir im Bau fängt eine an, mit etwas Blechernem gegen die Spinne zu schlagen. Eine andere nimmt es auf, dann die nächsten. Es setzt sich fort, es springt über zu den anderen Häusern. Lange pocht und dröhnt es durch die Nacht. Bis die Schlusen anfangen, Bau für Bau für Ruhe zu sorgen.
    Elli erklärt mir am anderen Morgen beim Versorgungsaufschluss, dass Arsalan sich mit dem Bettlaken an der Spinne aufgeknüpft hat. Sie hat es nicht mehr ausgehalten. Was genau, hat sie uns nie erklären können. Das alles hier, hat sie immer gesagt und geweint. Sie konnte zuletzt kaum noch gehen, kaum was essen, hat immer gefroren, ist beim Hofgang in sich zusammengesackt. Vom Anstaltsarzt hat sie Pillen bekommen. Aber nun ja … die haben wohl nicht geholfen. Elli zuckt mit den Schultern. Eine Schande ist das.
    Yvonne sagt, manchmal bewirken erst die Antidepressiva, dass jemand die Kraft zum Selbstmord findet. Woher sie das weiß, frage ich. Sie hat in Tübingen Medizin studiert.
    Ich habe auch in Tübingen studiert, sage ich.
    Darauf reagiert sie nicht. Sie sucht keine Gemeinsamkeiten mit mir noch mit irgendeiner anderen.
Fortsetzung Verteidigung Camilla Feh
    Mein Pflegevater Gustav bietet mir an, erst einmal bei ihm im Geschäft zu arbeiten. Vielleicht hofft er, ich würde es doch noch übernehmen. Er führt in vierter Generation in der Küblergasse in Cannstatt die Kürschnerei Feh mit Ladengeschäft. Meine Pflegemutter Isabel schmeißt den Laden alleine, wenn Gustav auf internationalen Auktionen in Kopenhagen oder Toronto ist oder zu den Gerbern in die Ukraine und zu seinen Nähern in Griechenland und Tschechien reist.
    Bei uns im Laden haben Armani, Jennifer Lopez und Sharon Stone Pelze gekauft, nachdem in der Vogue ein großer Artikel über uns erschienen war. In diesen Jahren läuft es gut. Pelze sind begehrt und teuer wie nie. Die meisten verlangen Nerz, aber auch Fuchs, Lamm, Waschbär und Chinchilla werden gekauft. Ich habe meine Pflegeeltern immer arbeiten sehen, als ginge es darum, im jeweiligen Jahr das Geschäft ihres Lebens zu machen, falls es im kommenden Jahr nicht so laufen sollte. Sie waren immer irgendwie angespannt. Immer auf der Hut, wachsam und kontrolliert. Jederzeit auf einen Angriff gefasst.
    Einmal habe ich in meiner Kindheit eine dieser hasserfüllten Protestaktionen miterlebt. Schwarz gekleidete Leute mit Totenmasken hielten mit rot gefärbten Händen Plakate mit gequälten Tieren hoch. Ihr Geschrei hallte in der Gasse. Zwei halbnackte Frauen und ein halbnackter Mann legten einen abgezogenen Fuchskadaver vor unserer Ladentür nieder. Ich weiß noch, dass ich darüber so erschrocken war, dass ich ins Lager flüchtete und mich hinter den Nerzen versteckte.
    Isabel hat versucht, mir zu erklären, dass es Menschen gibt, die es nicht akzeptieren können, wenn man Pelze verarbeitet, verkauft und trägt. Weil dafür Tiere getötet werden. Es gibt sicherlich auch Auswüchse. Tiere werden in Pelztierfarmen nicht gut gehalten. Aber Gustav achtet sehr darauf, wo er einkauft. In mir blieb das Gefühl, dass wir in steter Gefahr lebten, von Menschen, die wir nicht kennen und die uns nicht kennen, angefeindet zu werden, weil sie nicht verstehen, was wir genau machen. Isabel nannte sie Fanatiker. Gustav zuckte mit den Achseln.
    Auch Till hat anfangs versucht, mich für den Beruf meiner Pflegeeltern verantwortlich zu machen, indem er mich fragte, wie ich es in einem Haus aushalte, wo Geschäfte mit dem Leid und Elend unschuldiger und geschundener Tiere gemacht werden, und dies nicht einmal zum Zweck der

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