Die Affen von Cannstatt (German Edition)
lassen.
Irgendein Tanz ist immer. Das nervt. Dabei sollte ich es gut finden, dass die Frauen sich nicht in eine sinnlose Ordnung fügen wollen. Wozu beispielsweise muss das Knastleben um sechs beginnen? Ich habe draußen ein geordnetes Leben geführt, mich muss man nicht zu einem regelmäßigen Tagesablauf erziehen. Schon gar nicht in U-Haft. Es dient in keiner Weise dem Schutz der Gesellschaft vor mir oder der Sicherung des Verfahrens. Wenn sie mir wenigstens die Möglichkeit gäben, das Licht nach der Lebendkontrolle wieder auszumachen. Aber nein. Ich muss auf den Stuhl steigen und die Neonlampe rausdrehen. Dann liege ich wach und lausche dem Gesang der Amseln, der sich beim Hellwerden verflüchtigt im Rauschen der Stadt, die ich nie sehe.
Vermutlich hängen die frühen Aufschlusszeiten mit den Dienstplänen zusammen, die irgendwann im 19. Jahrhundert entwickelt wurden, als es noch kein Fernsehen und Radio gab und man mit den Hühnern aufstand und schlafen ging. Die Tagesschicht will früh Feierabend, deshalb der frühe Nachteinschluss, Klappe zu, Ruhe und Nachtschicht. Über die genauen Schichtzeiten sage ich lieber nichts, sonst nehmen sie mir meinen Computer wieder weg, weil ich Sicherheitsrelevantes verrate.
Wer nicht imstande ist, sich das Abendessen für später aufzuheben, muss was auf der Zelle haben – Chips, Kekse, Joghurt –, um eine vierte Mahlzeit zu essen. Rabia hat fünf Kilo zugenommen, behauptet sie. Fast alle nehmen zu. Man isst gegen die Langeweile und raucht, um nicht so viel zu essen.
Da haben es die Affen in der Wilhelma besser. Die Arbeit der Pfleger dient ausschließlich ihren Bedürfnissen. Bonobos bekommen ihr Futter zur Beschäftigung weit über den Tag verteilt. Aber können sie dabei glücklich sein? Ich bezweifle es. Im Kongo leben sie im Urwald auf vierzig Meter hohen Bäumen. Sie sammeln Früchte und Zweige und tragen sie aufrecht gehend zu dem Platz, wo sie essen wollen. Dabei gehen sie auf zwei Beinen, fast so gerade wie ein Mensch. Und sie scherzen und lächeln. In der Wilhelma lächeln sie nur selten.
Wir lachen beim Mittagessen. Das schon. Es gibt nichts zu lachen, also machen wir Witze und lachen.
Nadine hat am Donnerstag ihre Gerichtsverhandlung und hofft, dass sie freikommt. Danach will sie zu ihrem Freund nach Leipzig. Der weiß gar nicht, dass sie im Knast sitzt. Sie ist ganz plötzlich verhaftet worden. Nur ihre Schwester weiß davon. Die hat ihr aber nie geschrieben und sie nie besucht.
Ich erzähle von den Bonobos. Vom Matriarchat. Die Frauen lachen. Sie stellen sich vor, was wäre, wenn ihre Typen nichts zu melden hätten. Wenn sie entscheiden könnten, wann die Jungs randürfen. Wenn bei uns die Frauen die Häuptlinge wären und die Männer buckeln würden. Und schnipp, er macht das Essen und räumt hinterher auf. Und schnipp …
Sind die Affenweiber wirklich kleiner als die Männer?
Ja, sie sind nur halb so schwer. Es liegt nicht an der Körperkraft, wer die Macht hat. Sondern daran, ob man zusammenhält. Bei den Bonobos halten eben die Frauen zusammen und weisen die Jungs in die Schranken.
Warum schaffen wir das nicht?, fragt Rabia.
Weil ihr alle abhängig seid, sagt Yvonne. Abhängig von Drogen, abhängig von den Männern.
Du doch auch, sagt Marlies mit dem Gewicht ihres kiloschweren Alters. Sie trägt leuchtend roten Lippenstift, ein blaurotes Brillengestell, goldene Ohrringe und gibt die Dame.
Darauf antwortet Yvonne nicht.
Es ist genetisch bedingt, überlegt Elli. Frauensolidarität gibt es nicht. Fertig.
Dann können wir gar nichts dagegen tun, dass wir so drauf sind, überlegt Selina. Dass wir von den Männern nicht loskommen. Dass wir uns schlagen lassen und trotzdem nicht gehen. Dass wir Frauen uns nicht zusammentun.
Wir haben einen Kopf, sage ich, wir könnten den Fehler erkennen und es anders machen. Wenn wir wollen.
Ich will schon, sagt Marlies, aber alleine, was kann ich da schon ausrichten? Nicht mal meine beste Freundin hat zu mir gehalten.
Frauen sind auch nicht die besseren Menschen, erklärt Anne und lacht. Da muss man sich ja nur uns anschauen. Und die Anstaltsleitung, die ist auch eine Frau. Und die ist gar nicht solidarisch mit uns. Der ist es ganz egal, wie es uns geht. Hauptsache die Anstaltsordnung.
Sie tauschen ihren Ärger aus. Vielleicht wäre ich nicht immer innerlich auf Alarm, wenn wir uns nicht ständig aufregen würden. Obwohl es öde ist, sehne ich mich nach Ruhe. Paradox. Wir sind alle nur dumme Kasperle im
Weitere Kostenlose Bücher