Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Datenmanagementsystemen und dem passenden Mobiliar. Moderne Arbeitspsychologie mit Wohlfühlfaktor zur Steigerung der Motivation und Arbeitseffizienz zum Benefit des Unternehmens. Wer keine Stechuhr bedienen muss, aber weiß, was er abzuarbeiten hat, bleibt gern auch mal länger.
Stechuhren haben hier nur die unteren Gehaltsklassen. Wir gehören nicht zu der Kategorie Menschen, die Verantwortung fürs Ganze empfinden kann.
An dem Montag, an dem wir von Tills Tod erfahren, haben wir zwar gestempelt, arbeiten aber nicht. Wir stehen in der Küche zwischen Sitzelementen und Kaffeeautomaten, wollen uns gegenseitig spüren, wir frösteln und überlegen dennoch bald, wer nun Tills Posten bekommt. Vermutlich die Seitz. Daniela kneift die Lippen zusammen. Batari verdreht die großen dunklen Augen. Frau Dr. Ursula Seitz gilt als überfordert und herrschsüchtig. In der Kantine kursiert der Witz: »Zwei Peofisler treffen sich im Magen der Seitz. Fragt der eine: Hat sie dich auch aufgefressen? Sagt der andere: Nein, ich komme von der anderen Seite.«
Die einen sagen, sie ist eine Quotenfrau, die anderen halten dagegen, wir hätten ja nur was gegen sie, weil sie eine Frau ist.
»Wenn die Seitz Chefin unserer Abteilung wird, kündige ich«, sagt Daniela. Sie wird aber nicht kündigen. Sie und Ursula Seitz kennen sich seit Jahren. Das hat Daniela mir ganz am Anfang mal bei einem Mittagessen anvertraut. »Ich habe die Ursula eingelernt, vor fünfzehn Jahren, als die Peofis noch Unternehmensberatung hieß. Die Uschi hat von Anfang an ihre Karriere geplant. Immer die richtigen Fortbildungen besucht, langweilige Fleißarbeiten gemacht, sich in die unbeliebte Außenstelle Nagold schicken lassen. Und jetzt kennt sie mich praktisch nicht mehr«, erzählt Daniela mir vorwurfsvoll. »Da bekommt jemand eine Führungsposition und damit Macht, und wenn diese Person überfordert ist, ist Machtmissbrauch nicht weit. Den GF interessiert das nicht. Der will nur, dass Ruhe herrscht in seinem Laden. Wir sind ja alle so modern und konfliktfähig. Dass die Seitz es nicht packt, sieht niemand. Dieses ganze Gerede von Evaluierung ist doch heiße Luft. Die schreiben Leitfäden noch und nöcher, in denen von Transparenz und offener Kritikkultur die Rede ist, aber wehe, jemand übt tatsächlich Kritik an denen da oben.« Daniela fühlt sich gemobbt.
Ich habe Frau Dr. Ursula Seitz ein paarmal als energiegeladene Person der schnellen Kommunikation erlebt. Direkt und deutlich. Für die Schwaben viel zu direkt. Sie kommt aus Mannheim, hat in der Marketingabteilung angefangen, leitet jetzt die Personalentwicklung und kontrolliert die Außendienstler. Es heißt, sie fühle sich als Chefin aller Abteilungen, weil sie die Seminare für Führungskräfte ansetzt, die jeder durchlaufen muss. Und nichts tut sie leise. Sie ist immer erreichbar, schläft mit zwei Handys auf dem Nachttisch, habe ich sie beim Sommerfest verkünden hören.
Daniela dagegen gibt die verbiesterte Endvierzigerin, aggressiv, aber eigentlich zahnlos. Niemand hört ihr gern zu. Sie verbreitet Frust, wenn sie im Raum ist, manchmal explosionsartig.
Nach dem Mittagessen sitzen wir endlich an unseren Tischen im Großraumbüro, das wir nicht bräuchten, weil uns kurze Wege zum Nachbarn nichts nützen. Denn wir bekommen unsere Arbeit von oben. Arne sitzt mir gegenüber hinter seinen Computerbildschirmen.
»Leben die Bonobos nicht im Matriarchat?«, fragt er mehr sich selbst als mich.
Mein Mail-Programm meldet mir unterdessen eine neue Nachricht von Facebook. Ich gucke nach. Eine gewisse Lisa Nerz hat eine Freundschaftsanfrage gestellt. Kenne ich nicht.
Am Spätnachmittag kommen die Polizeibeamten bei uns unten an, zu sechst. Sie rufen uns einzeln in einen Konferenzraum. Eine Beamtin notiert meinen Namen und meine Adresse und fragt mich, ob ich Angaben machen kann. Ich sage, was eine Angestellte so über ihren Abteilungsleiter sagen kann: Ganz okay, klar, Differenzen gibt es immer. Das ist ja normal. Nein, ich kann nicht sagen, ob er hier Feinde gehabt hat. Ich bin noch nicht so lange hier. Manuela erwähne ich nicht.
Es ist Manuelas Stelle, die ich bekommen habe. Man hat nicht geahnt, wie schlecht es ihr ging, haben mir verschiedene Kollegen versichert. Sie hat immer ausgeglichen gewirkt. Sogar stark, fast zu stark, auch unbequem. Sie hat Deutschbein auch mal offen Paroli geboten. Man hat gedacht, sie macht Karriere, engagiert, wie sie war. Aber die trifft es ja immer zuerst. Jetzt steckt sie
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