Die Affen von Cannstatt (German Edition)
gebaut.
Eigentlich hätte ich dabei sein sollen. Ich hatte so gehofft, dass ich rechtzeitig wieder draußen bin. Es schmerzt. Hoffnung ist ein Tumor im Gehirn.
Ich hatte mich außerordentlich geehrt gefühlt, als die Kuratorin für die Menschenaffen mich im Herbst bat, den Umzug zu begleiten und das Verhalten der Bonobos in den beiden ersten Wochen zu protokollieren. Till hätte mir dafür Urlaub geben müssen. Hätte er es nicht getan, hätte ich gekündigt. Nun hat mich die Peofis ohnehin rausgeschmissen.
Fortsetzung Verteidigung Camilla Feh
Ich gehe zu Fuß nach Hause, denn eine Stadtbahnverbindung an den Neckar hinunter fehlt. Wenn das Wetter es zulässt, im Sommer sowieso, fahre ich mit dem Rad. Auch wenn es ins Geschäft den Berg hinaufgeht.
An der Altenburger Steige führt, versteckt zwischen von Schnee gebeugtem Buschwerk, eine Staffel zur nächsten Kehre hinab. Im Sommer höre ich es krachen auf dem Skaterplatz. Heute ist er still. Die Stadt ist erloschen, bewegt sich im Kriechgang.
»Leise rieselt der Schnee …« Kann etwas, denke ich, das fürs menschliche Ohr keine hörbaren Geräusche macht wie der Schnee, leise fallen? Sagt uns nicht das Wort leise, dass es sich um ein Geräusch handelt, das eben nur nicht laut ist? Wobei das Lied ziemlich laut endet, hallend und schallend, wenn das Christkind kommt.
Eine weitere Stiege führt zur Krefelder Straße hinunter. Der Schnee hat die Stufen verwischt. Für Minuten tappe ich abgeschieden durch den Schneetunnel gebeugter Bäume. Am Absatz schaue ich mich um. Oben kommt eine dunkle Gestalt. Einer von den Hallschlagtypen, Lederjacke, Kapuze überm Kopf. Er bleibt abrupt stehen. Wie ertappt.
Ich nehme das Pfefferspray aus meiner Handtasche und stecke es in die Manteltasche. Du spinnst, schimpfe ich mich gleichzeitig. Es ist zwar dunkel, aber eine der betriebsamsten Stunden des Tages. Alle sind auf dem Heimweg.
Im Abwenden sehe ich, wie er sich bückt und etwas hochnimmt, das nach einem kleinen Hund aussieht. Als ich mich unten am Fußgängerüberweg Haldenstraße noch mal umschaue, ist er weg. Seltsam.
Vor mir fällt die Krefelder Straße zum Neckar hinab. Links Industriebetriebe, rechts Wohnhäuser. An normalen Tagen rauscht unten der Verkehr zügig die Neckartalstraße entlang. Heute zwingt das Wetter die Autofahrer, dem Strahl ihrer Scheinwerfer hinterherzuschleichen. Ich biege um die Ecke.
Und plötzlich steht der Typ von der Treppe vor mir. Ich erkenne ihn sofort. Die aggressive Gestalt mit Kapuze. Hinter ihm auf dem Fußweg wartet ein Dackel. Ein struppiges, ziemlich kleines Tier.
Der Bursche hat das Kinn gesenkt. »Ja, hallo«, sagt er. Augen glitzern unter dem Hoodie hervor, auf dem Schnee lagert.
Ich weiß auf einmal: Er hat es auf mich abgesehen. Womöglich hat er sich schon vor der Firmentür an meine Fersen geheftet. Weil ich ihn auf der Treppe gesehen habe, hat er gewartet, bis ich weg bin. Auf der schnurgeraden Krefelder Straße hätte ich ihn bemerkt, also ist er die parallele Rosenaustraße hinuntergelaufen.
Ist es eine Panne, dass wir uns plötzlich gegenüberstehen, oder hat er mich hier stellen wollen? Face to face. Nur dass ich sein Gesicht kaum erkennen kann. Ein schneller Atem schlägt Wolken vor dem Loch der Kapuze. Er ist gelaufen. Er hat ziemlich laufen müssen, um schneller unten an der Neckartalstraße zu sein als ich.
Im Reflex versuche ich ihm auszuweichen. Aber er macht sich breit. Warum halte ich es nicht für eine zufällige Begegnung? Die Burschen vom Hallschlag weichen jungen Frauen nicht aus. Sie schauen uns in die Augen und grinsen. Sie mögen es, wenn wir Angst vor ihnen haben, den Türken, den Männern.
Ich greife in meine Manteltasche. Das Pfefferspray gleitet mir in die Hand. Dabei rutsche ich auf einem Schneehaufen an der Bordsteinkante aus.
Ich bin zu empfindlich nach diesem Tag. Der Tod macht uns brüchig und die Welt gefährlich. Ich finde keine Erklärung, warum der Bursche mir entgegenkommt. Warum er den Umweg über die Parallelstraße genommen hat. Warum er mich festhält.
Ich ziehe das Pfefferspray, kneife meine Augen zu und drücke in die Kapuzenhöhle ab.
Er tut mir sofort leid. Er schreit furchtbar, hustet, schlägt sich die Hände vors Gesicht, wankt und taumelt gegen die Hauswand. Der Dackel guckt. Er denkt nicht daran, seinen Herrn zu verteidigen. Er bellt nicht einmal.
Zwar regt sich in mir der Impuls, mich um den Verletzten zu kümmern, aber das wäre närrisch, typisch Frau. Er wird es
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