Die Affen von Cannstatt (German Edition)
Alkohol, mein Herz.«
Haftbuch, Freitag, 17. Mai
Onkel Gerald hält die Frage für nicht relevant. Es wird nicht über meine Herkunft verhandelt, die mutmaßlichen Taten meiner Mutter spielen für das laufende Verfahren keine Rolle. Außerdem soll ich dem, was diese Nerz verzapft hat, nicht so viel Bedeutung beimessen. Sie hat doch nur mein Vertrauen gewinnen wollen. Und was dabei rausgekommen ist, das sehe ich ja. Ich sitze im Knast und sie springt fröhlich in der Weltgeschichte herum. Im Übrigen muss auch er sich jetzt leider von mir für drei Wochen in den Urlaub verabschieden.
Draußen leben sie auf Pfingsten hin und wir auf Lange-Riegel-Tage und Krise. Regen und Kälte bei den Hofgängen, wenn sie stattfinden. Die Schwalben fliegen auf Rasenhöhe. Dumme Vögel. Sie könnten doch über die Mauer hinüber.
Eine Neue pöbelt alle ausländischer Herkunft an. Du gehörst vergast. Häng dich auf, dann muss ich dich nicht kaltmachen. Einmal schleudert sie den vollen Teller auf die dunkelhaarige Rumänin Iliana und schreit: Putz das auf, du Zigeunerschlampe. Anschließend erklärt sie aufgebracht, Iliana habe sie gestoßen.
Haftbuch, Pfingstmontag, 20. Mai
Bei uns wird es eng. Denn draußen herrscht Freizeitstress. Wie immer an Wochenenden und Feiertagen. Trunkenheitsdelinquenz, Diskoprügeleien, bei denen einer liegen bleibt, Ehestreitigkeiten, die für einen in einer Messerklinge enden. Die Zellen werden knapp, denn es ziehen auch weniger in den Regelstrafvollzug um, weil die Richter Urlaub machen und keine Urteile gesprochen werden.
Gestern schließt am frühen Nachmittag eine Beamtin auf und stellt mir zwei Plastikbehälter hin. Fertig machen zum Zellenwechsel. Wieso?, frage ich. Ich komme in eine andere Zelle, antwortet sie. Aber wieso denn? Sie tritt zurück mit der Miene einer, die sich auf keine Diskussionen einlässt, und schließt.
Ich packe Laptop, Wecker, Radio, Tischlampe, Fernseher in die Kisten und stopfe Wäsche und Kleider drum herum. Seife, Zahnpasta, Zahnbürste müssen auch noch mit. Erstaunlich, wie viel sich in fünf Monaten ansammelt. Rabias Tätowierstift lasse ich im Bunker im Bettbein. (Falls sie meine Kisten filzen.) Vielleicht wird Yvonne die Zelle putzen – heute noch oder morgen – und ihn finden.
Dann sitze ich auf meinem Bett und wappne mich mit Argumenten. Sie können mich nicht in eine Gemeinschaftszelle legen. Ich habe Antrag auf Einzelunterbringung gestellt. Ich habe das Recht dazu als U-Häftling. Oder verlegen sie mich gar ganz woandershin? In ein anderes Gefängnis? Dürfen die das? Und wohin? Es gibt kein weiteres Frauengefängnis in der Nähe von Stuttgart. Nach Bühl werden sie mich doch wohl nicht bringen. Was genau hat die Schluse gesagt? Und ausgerechnet jetzt ist Onkel Gerald in Urlaub. Aber bevor ich die Notfallnummer seiner Kanzlei anrufe, will ich abwarten, was Sache ist. Zumal ich ja nicht selbst telefonieren kann.
Ich warte. Ausnahmsweise scheint die Sonne. Sie malt den Schatten des Gitters auf die Wand und schiebt ihn weiter. Ich habe das Fenster offen. Eine Amsel singt.
Da, endlich der Schlüssel. Abmarsch. Nein, vorher noch mein Bett abziehen. Ich lege die Bettwäsche über den Fernseher, staple die Kisten aufeinander und wuchte sie hoch. Schlusen packen grundsätzlich nicht mit an. Wir gehen den Gang entlang. Bitte nicht zu der Rechtsradikalen, bitte lass die Knaststrategen nicht auf die Idee gekommen sein, ich könnte auf die Halbirre einen beruhigenden Einfluss haben. Alles, bloß das nicht. Und bitte nicht zu der Suizidgefährdeten.
Doch.
Immerhin klebt der rote Punkt nicht mehr an der blauen Tür, die die Beamtin aufschließt.
Drinnen wartet Koza mit ihren Sachen. Sie tritt heraus und murmelt mir dabei zu: Viel Spaß mit der Psycho.
Was ist das für eine Reise nach Jerusalem? Wo kommt sie hin? Koza weiß es nicht. Vermutlich Dreierzimmer.
Ich trete ein. Die Tür schließt sich hinter mir.
Auf dem einen von zwei Betten sitzt die Frau und schaut mir entgegen. Ich weiß, dass sie von uns Jo gerufen wird und von den Schlusen Frau Vieregg. Ich bin ihr beim Aufschluss und am Mittagstisch begegnet, wir haben aber nie mehr als ein paar Worte gewechselt. Wenn die andern sie nach ihrer Tat gefragt haben, hat sie immer geantwortet: Ich habe nichts gemacht.
Mein Bett steht an der anderen Wand, gerade mal einen Meter von ihrem entfernt. Seit Jahren habe ich nicht mehr so dicht neben jemandem geschlafen. Mir bricht der Schweiß aus.
Ich hoffe, sagt sie,
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