Die Affen von Cannstatt (German Edition)
ich schon nicht darüber nachdenken, was du mir in den Zucker getan haben könntest.«
Das Gelächter ist weg. Stille ballt sich im Raum. Vor den Fenstern fallen dicke Flocken durchs Licht.
»Sorry«, sagt sie, »das war ein blöder Witz.«
War es ein Versehen oder will sie mir bedeuten, sie werde keinen Moment lang vergessen, dass ich eine Mörderin bin.
Ich stelle die Teekanne auf den Untersetzer, der auf dem Tisch liegt. Endlich sitzen wir. Sie kostet. »Hm, schmeckt wie Heu.« Sie setzt die Tasse ab und beginnt, sie mit nervösen Fingern auf der Untertasse zu drehen. Ihr Blick ist aufmerksam. »Duzt ihr euch eigentlich alle in deinem Betrieb?«
»Weitgehend. Wir untereinander schon, mit den Vorgesetzten bin ich per Sie.«
»Nur mit Deutschbein nicht«, bemerkt sie.
Verdammt. »Wir …« Ich gebe mir einen Stoß, sie kriegt es sowieso heraus. »Wir kennen … kannten uns von früher, aus Tübingen. Wir haben zusammen studiert.«
»Oh!«, stößt sie hervor. »Auch das noch.«
»Damals war er Anarchist, Veganer und Punk. Wir haben Gramsci gelesen …«
»Wen?«
Ich winke ab. »Ein italienischer Kommunist, der unter Mussolini im Knast saß.«
Es interessiert sie nicht. Sie hat nur das gehört, was ich nebenbei verraten habe. »Wir?«, hakt sie nach. »Du sagst: Wir haben Gramsci gelesen. Das klingt nach unzüchtigen Spielen. Sag mir bitte, dass es nicht wahr ist, Camilla: Ihr wart zusammen.«
»Nur zwei Jahre. Er hat nicht verstanden, warum ich mit dem Studium aufgehört habe.«
»Das verstehe ich allerdings auch nicht, Schätzchen«, sagt sie. »Wer soll denn überhaupt noch studieren, wenn nicht du, das kluge Töchterchen der neuzeitlichen Fugger von Cannstatt.«
Jetzt müsste ich es ihr sagen. Das sind nicht meine richtigen Eltern. Aber ich sage es nicht. Ich rede über Till. Über den Anarchoveganer und Feministen. »Er hat sich sehr verändert in den Jahren nach unserer Trennung. Natürlich kann einer nicht ewig im Schottenrock mit Punkhaarkamm und Piercings herumlaufen. Aber seltsam war es schon, ihn plötzlich total businesslike zu sehen. Und vom Feminismus keine Spur mehr. Dabei war er es, der mir die Augen geöffnet hat für die mehr oder weniger subtile Benachteiligung von Frauen.«
»Ts-ts.« Lisa schüttelt den Kopf. »Ja, das kommt immer wieder vor: Weiße, die gern Schwarze wären, Bankierssöhne, die für die Arbeiterklasse streiten, Männer, die uns Frauen in den Kampf führen wollen.«
»Ungefähr so.« Ich nicke. »Till hätte gern die Affen befreit und mich. Hat aber beides nicht geklappt. Übrigens kannte er deine Freundin Sally. Er war dabei, als ich ihr von der Bonobostudie erzählte. Und kurz danach sind Tierschützer in die Wilhelma eingestiegen und haben Zäune aufgeschnitten.«
»Oh.«
»Frag sie doch mal, deine Freundin, ob er dabei war. Womöglich kann sie dir viel mehr über Till erzählen als ich. Könnte doch sein, dass er in ihren Augen – denen der Tierrechtler, meine ich – ein Abtrünniger war und … und bestraft werden musste.«
Lisa runzelt die Stirn, ist plötzlich missmutig. »Kann ich hier irgendwo eine rauchen?«
Ich deute auf die Balkontür.
Als ich von der Toilette zurückkomme, steht sie mit hochgezogenen Schultern auf dem verschneiten Balkon mit dem Rücken zur Glastür und tippt auf ihrem Telefon herum. Die Zigarette ist halb geraucht.
Ich trete hinaus. Gleich neben meinem Balkon erhebt sich die Flanke des Landhauses Bellevue. Die Kälte beißt. Die große Stadt ist noch stiller geworden.
Lisa hat gerade eine SMS geschrieben und macht das Display ihres Telefons dunkel. Sie schaut mich an und zieht ein Lächeln hoch.
»Was ist?«, frage ich.
»Nichts.« Sie zieht an der Zigarette, atmet tief ein, bläst den Rauch mit der Atemwolke gegen den orangeschwarzen Himmel, aus dem unaufhörlich Flocken fallen.
»Probleme mit Richard?«, frage ich.
»Wie kommst du darauf?«
Ich habe recht, denke ich, und die SMS, die sie eben geschickt hat, war an ihn. »Er hat mir erzählt, dass er einen Unfall hatte.«
Sie schaut mich an. »Das hat er dir erzählt? Sieh mal an. Ja, so ein Nahtoderlebnis verändert auch den stursten Rechtsstaatsfanatiker. Richard fängt an, die Regeln zu verletzen, vor allem seine eigenen.«
»Du siehst mir nicht aus, als wärst du ein Fan von Regeln und Leuten, die sie einhalten.«
Sie zieht einen Mundwinkel hoch zu einem verqueren Lächeln. »Aber wo ist der Spaß, wenn keiner aufjault, weil die Ordnung verletzt wird?« Sie
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